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„Förderung sprachlicher Kompetenz bleibt Wunschvorstellung“

„Förderung sprachlicher Kompetenz bleibt Wunschvorstellung“

Die Weichen für die individuelle Zukunft eines Kindes werden in der Kita gelegt. Doch es fehlt an Plätzen und Fachkräften. Foto: © Thomas Talkner/peopleimages.com - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Die fortlaufende Qualitätssicherung in Kindertagesstätten stellt eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe dar, die in Deutschland auch gesetzlich verankert ist. Leider zeichnet die Realität vielerorts ein anderes Bild: Fehlende Betreuungsplätze, Personalmangel und eine daraus resultierende hohe Arbeitsbelastung sorgen dafür, dass Konzepte zur frühkindlichen Bildung nicht überall gewährleistet werden können. Notbetreuung statt individueller Förderung? Darunter leidet vor allem die sprachliche Entwicklung vieler Kinder.

„Alle Kinder sollen die gleichen Chancen haben und im eigenen Tempo entdecken, was in ihnen steckt. Zur Entfaltung ihrer Talente stärkt sie eine frühe Förderung in der Kindertagesbetreuung.“ So lauteten zwei der ambitionierten Ziele des sogenannten Gute-Kita-Gesetzes, das 2019 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf den Weg gebracht wurde (ab 2023: Kita-Qualitätsgesetz). Ein gemeinsamer Prozess von Bund, Ländern und Kommunen sollte dank der Bereitstellung von 5,5 Mrd. Euro dazu beitragen, die Kindertagesbetreuung weiterzuentwickeln und die Teilhabe zu verbessern. Fünf Jahre später ist von dieser Aufbruchsstimmung jedoch nicht mehr viel zu vernehmen: Es fehlen mehr als 125.000 Fachkräfte und rund 400.000 Betreuungsplätze, die Erzieherinnen und Erzieher sind überlastet, der Abwärtstrend konnte nicht aufgehalten werden. Leidtragende sind in besonderem Maße die Kinder, denn aufgrund dieser Entwicklungen fallen viele Aktivitäten und Förderangebote weg. „Der Personalmangel an Kindertagesstätten bestimmt den Alltag, das hat Konsequenzen“, weiß auch Tomi Neckov, stellvertretender Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). „Wo kaum die Betreuung gewährleistet werden kann, bleibt die individuelle Förderung sprachlicher Kompetenz eine Wunschvorstellung.“ Neckov zufolge bleibe es unklar, wie das gelingen solle, wenn nicht einmal annähernd genug Erzieherinnen und Erzieher zur Verfügung stünden.

Die frühkindliche Bildung, soviel ist klar, bildet die Grundlage für die gesamte spätere Entwicklungs- und Lerngeschichte eines Kindes ab. In der Lebensphase zwischen 0 und 6 Jahren haben Erzieherinnen und Erzieher die Möglichkeit, mit ganz unterschiedlichen Aktivitäten die Weichen für die individuelle Zukunft eines Kindes zu stellen. Kindertagesstätten sollten daher nicht nur ausschließlich als Betreuungseinrichtung verstanden werden. Doch wie soll das funktionieren, wenn die Arbeitsbelastung in den Einrichtungen zusehends steigt und dies auch zu höheren Fehlzeiten und Krankschreibungen bei den pädagogischen Fachkräften führt? Im Rahmen eines Meinungstrends des Deutschen Kita-Leitungskongress (DKLK) gaben im Frühjahr 2024 über die Hälfte der teilnehmenden Kita-Leitungen* an, in mehr als 20 Prozent der Betreuungszeit in Unterbesetzung zu arbeiten. Das sind zwar 10 Prozent weniger als im Jahr zuvor – alarmierend bleibt jedoch, dass mehr als jede 7. Kita-Leitung angibt, in über 60 Prozent der Zeit in aufsichtspflichtrelevanter Personalunterdeckung zu arbeiten. Eine Besserung sei laut DKLK nicht in Sicht, bejahten doch 84 Prozent der Kita-Leitungen, dass sich der Mangel im letzten Jahr verschärft habe. Bei drei Viertel der Tagesstätten würden daher Kolleginnen und Kollegen arbeiten, die noch vor wenigen Jahren wegen unzureichender Qualifikation nicht eingestellt worden wären. Auch deshalb fordert Tomi Neckov, „dass sich die Politik stärker dafür verantwortlich fühlt, den Elementarbereich so auszustatten, dass die Bildungsbasis erfolgreich gelegt werden kann. Dazu gehört neben Personalgewinnungskampagnen, der angemessenen Bezahlung der Fachkräfte und einem attraktiven Arbeitsumfeld vor allem der Einsatz multiprofessioneller Teams.“

„Das Kind wird abgestraft“

Der Schwerpunkt „Sprachliche Bildung“ bereitet den Expertinnen und Experten bei der aktuellen Krise ganz besonders Sorge. Mittlerweile hat fast jedes zweite Kind unter sechs Jahren in Deutschland einen Migrations- oder Fluchthintergrund – umso wichtiger erscheint es da, dass diese Kinder die deutsche Sprache gemeinsam mit anderen Gleichaltrigen erlernen. In der Erhebung des DKLK gab beinahe die Hälfte aller Befragten (46,2 Prozent) an, ausschließlich alltagsintegrierte Sprachbildung als Form der Förderung in der Kita anzubieten. Neben dem Mangel an Zeit und Personal wurde in diesem Zuge auch eine erschwerte Zusammenarbeit mit den Eltern als große Herausforderung genannt. „Wenn die Fachkräfte vor Ort nicht die Muttersprache der Kinder sprechen, kann es eine Hürde in der Kommunikation und auch bei der Vermittlung der deutschen Sprache darstellen“, erläutert Tomi Neckov vom VBE. „Bei Personalgewinnungskampagnen sollte daher darauf geachtet werden, Menschen, die fehlende sprachliche Passungen ausgleichen können, bevorzugt anzuwerben.“

Dass Kommunikation einen Schlüssel zur Integration abbilde, sei laut Neckov nicht zu bestreiten. In der aktuellen Debatte beobachte er jedoch einen Reflex, der ihm zu denken gebe. So sei es falsch, wenn absichtlich vereinfacht dargestellt werde, dass Kinder, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, weder eingeschult noch mit deutschsprachigen Kindern gemeinsam unterrichtet werden könnten. „Davon abgesehen, dass Menschen, die dies fordern, damit ihr fehlendes Wissen insbesondere zu Integration und zum Spracherwerb im Kindesalter offenbaren, ist dies eine klassische Schuldumkehr“, findet Neckov. „Das Kind hat ein Defizit. Das Kind wird abgestraft.“ Ein Umdenken in der Politik müsse nun dafür sorgen, dass jedes Kind im entsprechenden Alter eingeschult werden könne – etwa dank einfach zugänglicher Tests, die nach wissenschaftlichen Kriterien erarbeitet worden sind und eine zutreffende Diagnostik erleichtern. Dadurch offensichtlich gewordene,   erforderliche Maßnahmen gelte es durch zusätzliche Ressourcen und weitere Fachkräfte aufzufangen.

Höchster Krankenstand aller Berufsgruppen

„Fragen, Erklären, Erzählen: Kinder sollten im Kita-Alltag Sprache erleben und entdecken können“ – so ist es im Handlungsfeld „Sprachliche Bildung“ des Gute-Kita-Instrumentenkastens von 2019 definiert. Und dieser hält viele weitere hilfreiche Werkzeuge bereit, unter anderem „Bedarfsgerechte Angebote“ (Kinderbetreuung sollte zum Alltag von Familien passen), „Kindgerechte Räume“ (Kreativität fördern, zum Bewegen einladen), „Gesundes Aufwachsen“ (ausgewogene Ernährung, Bewegungsförderung) oder auch „Vielfältige pädagogische Arbeit“ (Maßnahmen, die passgenau auf die Bedürfnisse aller Kinder zugeschnitten sind). Doch wie ist all dies umzusetzen, wenn der Betreuungsnotstand in Deutschland mehr und mehr zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem heranwächst? Wenn vertraglich vereinbarte Öffnungszeiten nicht mehr eingehalten werden können und Erzieherinnen und Erzieher den höchsten Krankenstand aller Berufsgruppen verzeichnen? „Es braucht mehr Fachkräfte“, bringt es Tomi Neckov auf den Punkt. „Es braucht gut qualifizierte Fachkräfte. Und es braucht Zeit für diese Fachkräfte. Doch all das gibt es in Kitas momentan nicht.“  

Zu dieser ernüchternden Feststellung passt, dass laut DKLK-Meinungstrend 86 Prozent der Kita-Leitungen angeben, dass die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation bei den unter 3-Jährigen von den wissenschaftlichen Empfehlungen abweicht. Das bedeutet in der Praxis, dass eine Fachkraft statt drei Kindern durchschnittlich über fünf Kinder betreut. Um diesen immensen Herausforderungen gerecht zu werden und zur Verbesserung der Sprachförderung pocht der Verband Bildung und Erziehung auf die Fortführung des Kita-Qualitätsgesetzes in ähnlicher Förderungshöhe sowie eine von Bund, Ländern und Kommunen getragene Fachkräfteoffensive. Auch die leichtere Anerkennung ausländischer Abschlüsse – insbesondere, wenn so die sprachliche Vielfalt in Kitas erweitert werden kann – müsse forciert werden. Und nicht zuletzt brauche es nachhaltige Investitionen in Ausstattung und Personal. Davon würden Erzieherinnen und Erzieher, Eltern und ganz besonders die Kinder profitieren. Denn eines sei laut Tomi Neckov doch klar: „Die Verteilung von Startchancen beginnt nicht erst in der Grundschule.“

vbe.de // deutscher-kitaleitungskongress.de

 


* Von Oktober 2023 bis Januar 2024 hatten 3.055 Kita-Leitungen an einer Umfrage von FLEET Education, dem VBE und dessen Landesverbänden Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen teilgenommen.

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