Hier ist schnelles Handeln gefragt: Bei einem Schlaganfall verliert der Mensch pro Minute zwei Millionen Nervenzellen – und zwar unwiederbringlich. Je rascher die Behandlung, desto besser somit die Chancen auf einen späteren erfolgreichen Therapieverlauf. Experten kritisieren jedoch: Durch die Zentralisierungspläne der Bundesregierung drohe eine große Versorgungslücke, speziell im ländlichen Raum. Der Einsatz sogenannter TeleStroke-Units sei daher unerlässlich.
Die häufigste Ursache für einen Schlaganfall, der weiterhin zu den verbreitetsten Todesursachen zählt, ist die Bildung eines Gerinnsels in den Hirngefäßen. Neben hohem Blutdruck und einem unregelmäßigen Herzschlag begünstigen auch Tabakgenuss, übermäßiger Alkoholkonsum, Diabetes sowie Fehlernährung und Bewegungsmangel diesen schlagartig auftretenden Ausfall von Gehirnfunktionen. Während sich bei der ischämischen Variante aufgrund von Gefäßverstopfung eine mangelnde Hirndurchblutung ereignet, kommt es beim hämorrhagischen Schlaganfall zum Zerreißen eines Blutgefäßes, was wiederum zu einer Hirnblutung führt. Da in beiden Fällen Hirngewebe verloren geht, ist ein zeitnahes Eingreifen unabdingbar, um Leben und Gehirn des Patienten retten zu können. Dieser Umstand schlägt sich auch in der bekannten Faustregel „Time is brain“ nieder – zumal die Symptome der genannten Varianten ohne Computer- oder Kernspintomografie kaum zu unterscheiden sind. Typische Anzeichen sind die plötzliche Lähmung einer Körperhälfte, eines Armes, Beines oder des Mundwinkels, Taubheitsgefühle im Gesicht oder an den Extremitäten, ungewöhnlich starke Kopfschmerzen sowie eine nicht mehr verständliche Sprache des Betroffenen.
Doch wie steht es hierzulande um die Versorgung der „Volkskrankheit Schlaganfall“, vor allem mit Blick auf die damit verbundenen zeitkritischen Therapien zur Wiederherstellung der Hirndurchblutung? In einer gemeinsamen Erklärung haben die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) erst kürzlich gewarnt: „Durch die Zentralisierungspläne der Bundesregierung ergibt sich eine große Versorgungslücke. Denn laut aktuellem Gesetzentwurf sollen die Patienten zukünftig nur noch in neurologischen Spezialkliniken behandelt werden dürfen, die jedoch nicht überall flächendeckend zur Verfügung stehen.“ Gemeint ist damit der aktuelle Entwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG), der den Fachgesellschaften zufolge die seit Jahrzehnten etablierte telemedizinische Unterstützung wohnortnaher Kliniken nicht mehr vorsieht. „Wird das KHVVG wie derzeit geplant verabschiedet, wird die Schlaganfallversorgung auf dem Land zusammenbrechen“, zeigt sich Professor Stefan Schwab, 1. Vorsitzender der DSG, besorgt. Auf sogenannte TeleStroke-Units könne man auch künftig nicht verzichten.
Keine Zeit zu verlieren
Dass Schlaganfallpatienten laut Planung künftig in neurologischen Spezialkliniken behandelt werden sollen, ist dabei nicht der Kritikpunkt von DSG und DGN – beide Fachgesellschaften begrüßen dieses Vorhaben in ihrer Erklärung ausdrücklich. Voraussetzung sei allerdings die Sicherung einer flächendeckenden Versorgung: „Derzeit ist hierfür die etablierte telemedizinische Unterstützung wohnortnaher Kliniken zwingend erforderlich.“ Bereits seit Juli 2024 fordern DSG und DGN daher dringend eine Nachbesserung des derzeitigen KHVVG-Referentenentwurfes, eben auch, weil es bei der Versorgung einer Durchblutungsstörung im Gehirn keine Zeit zu verlieren gilt – bei einem Schlaganfall wird das Organ mit dem größten Sauerstoffbedarf nicht mehr adäquat versorgt. „Sie können einen Schlaganfallpatienten entsprechend nicht erst zwei Stunden mit dem Krankenwagen in die Spezialklinik fahren“, erklärt Prof. Heinrich Audebert, Vorsitzender der Kommission Telemedizinische Schlaganfallversorgung. Aus diesem Grunde habe man in Deutschland in den letzten Jahrzehnten eine hohe Zahl an zertifizierten Schlaganfall-Spezialstationen (Stroke Units) aufgebaut. Diese sollen innerhalb von maximal 30 Minuten für jeden Patienten erreichbar sein. In strukturschwachen Regionen wiederum wurden Krankenhäuser ergänzend mit einer TeleStroke-Unit ausgestattet – bis zu 30.000 Schlaganfallpatienten profitieren in Deutschland jährlich von dieser Behandlung. „Hier holen sich dann die Ärzte vor Ort durch telemedizinische Konsile die spezifische Behandlungsexpertise von zugeschalteten Neurologen“, berichtet Audebert. „Die spezialisierte Behandlung wird lokal durch ein Schlaganfallteam sichergestellt und nur Patienten, die eine Operation oder eine Katheter-Behandlung brauchen, werden weiterverlegt.“ Studien belegen die Wirksamkeit der Behandlung in TeleStroke-Units: Die Patienten haben „einen signifikanten Vorteil zu überleben und Behinderungen zu vermeiden“, heißt es dort. Heinrich Audebert, stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie der Charité Berlin, kann somit nicht nachvollziehen, dass diese Behandlungen im Gesetzentwurf rausgefallen sind. Er gibt zu bedenken: „Bei aktuell bereits bestehendem Personalmangel erscheint es utopisch, innerhalb so kurzer Zeit die Ressourcen derart aufzustocken, wie wir sie bei diesen Transportentfernungen bräuchten.“
Versorgung nur eingeschränkt möglich
Und so unterstreichen auch die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie in ihrer Stellungnahme, dass die ortsunabhängige Schlaganfallversorgung ein komplementäres Angebot zur Versorgung auf neurologischen Stroke Units darstelle. Mehr noch: „Die TeleStroke-Unit ist zur flächendeckenden Versorgung in strukturschwachen Gebieten unverzichtbar!“ Laut Stefan Schwab sei es selbstverständlich, dass jedes Krankheitsbild, so auch der Schlaganfall, von Spezialisten behandelt werden müsse. Dass dies, wie von der Regierung geplant, in spezialisierten Zentren geschehen soll, wertet der 1. Vorsitzende der DSG ebenfalls positiv. Allerdings sei die lebenswichtige schnelle Versorgung des Schlaganfallpatienten in bestimmten Regionen nur eingeschränkt möglich: „Der Experte muss dann eben zum Patienten gebracht werden. Wir sprechen von einem zeitkritischen Krankheitsbild“, so Schwab. Die Entscheidung gegen die telemedizinische Unterstützung sei deshalb absolut nicht nachvollziehbar.
Neben dieser kritischen Betrachtung hält die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft allerdings auch gute Nachrichten bereit: Insgesamt sind immer bessere Behandlungsmöglichkeiten für Patienten zu verzeichnen. Dies betrifft vor allem die Möglichkeiten zur Therapie und Prophylaxe nach einem Gefäßverschluss im Gehirn oder einer Hirnblutung. Beide Ereignisse sind mögliche Auslöser für einen Schlaganfall. „Für die Patienten, die wir wegen eines Gefäßverschlusses behandeln müssen, hat sich das Zeitfenster für eine Therapie in den letzten Jahren deutlich erweitert“, freut sich Stefan Schwab. „Zudem stehen neue Medikamente zur Verfügung, die sicherer und unkomplizierter verabreicht werden können. Ein enormer Vorteil!“ Galt bis vor wenigen Jahren noch die 6-Stunden-Regel bei einem Verschluss großer hirnversorgender Gefäße, haben Studien nun gezeigt, dass Patienten – abhängig von modernen Bildgebungsverfahren – sogar bis zu 24 Stunden nach dem Ereignis von der Thrombektomie, also der Entfernung eines Blutgerinnsels, profitieren. „Viermal so viel Zeit für einen Teil unserer Patienten, denen wir durch die Thrombektomie helfen können – das ist ein großer Gewinn“, weiß Schwab. Nicht zu vergessen sei allerdings, dass der Schlaganfall immer noch eine schwere Erkrankung bleibe, die auch eine der häufigsten Ursachen von erworbener Behinderung darstelle: „In der Akuttherapie machen wir weiter große Schritte nach vorne. In der Nachsorge können wir noch besser werden.“
Was leistet eine Stroke Unit?
Stroke Units (stroke = „Schlag“, unit = Einheit) stellen Spezialstationen für Schlaganfall-Patienten dar: Dort erhalten Betroffene eine schnelle, umfassende und fachübergreifende Behandlung. Entstanden ist das Konzept in den USA, in Anlehnung an die sogenannten Coronary Care Units (Stationen zur Behandlung von Menschen mit Herzinfarkt). Zur Versorgung von Schlaganfall-Patienten sind in der Stroke Unit entsprechende bildgebende Verfahren vorhanden; auch ist ein spezialisiertes fachärztliches Team vor Ort bzw. in Bereitschaft abrufbar. Medikamente zur Lösung eines Blutgerinnsels im Gehirn können auf dieser Spezialstation ebenso verabreicht werden. Mittlerweile ist es in vielen Stroke Units zudem möglich, eine mechanische Entfernung des Gerinnsels (Thrombektomie) vorzunehmen.