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Grafik Periodenprodukte

Tabu-Thema mit weitreichenden Folgen

Foto: © milatoo - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Obwohl die Menstruation für unzählige Mädchen und Frauen weltweit zur Lebensrealität dazu gehört, stellt sie bis heute ein Thema dar, das teils mit Scham und Unwissen behaftet ist. Dazu zählt auch der Umstand, dass vielen Menschen aus Kostengründen der ausreichende Zugang zu Menstruationsprodukten fehlt, sodass sie gar vor der Frage stehen: Essen oder Tampons kaufen? Verschiedene Initiativen und Vereine machen sich für eine Enttabuisierung stark und klären auf – so wie der Verein Periodensystem aus Berlin.

Die Zahl beruht auf Schätzungen, doch sie weiß zu beeindrucken: Bis zu 20.000 Euro geben menstruierende Personen im Laufe ihres Lebens für Hygieneartikel wie Tampons, Binden, Einlagen oder Menstruationstassen aus. Hinzu kommen gegebenenfalls Schmerzmittel, Wärmflaschen oder auch mal neue Unterwäsche. Dass diese Problematik immer noch zu wenig Aufmerksamkeit erhält, hat einen Grund: Tatsächlich ist die Menstruation bis heute immer noch mit Scham oder auch Ekel behaftet. Diese Stigmatisierung hat weitreichende Folgen, denn weltweit sind rund 500 Millionen Menschen von Periodenarmut betroffen. Das heißt, sie können sich nicht ausreichend mit Hygieneartikeln versorgen. In Schottland trat kürzlich ein Gesetz zur Bekämpfung eben dieser Problematik in Kraft: Dort liegen in Bildungs- und städtischen Einrichtungen nun kostenlose Menstruationsartikel aus. In Deutschland geht es diesbezüglich eher in kleineren Schritten voran, sodass im Jahr 2020 immerhin die Mehrwertsteuer auf Menstruationsprodukte von 19 auf sieben Prozent gesenkt wurde.

Doch die Stimmen für mehr Gleichberechtigung werden lauter. Der ehrenamtlich geführte Verein Periodensystem aus Berlin hat es sich zur Aufgabe gemacht, niederschwellige Hilfe und Aufklärung zu den Themen Periodenarmut und Menstruation zu leisten. Initiatorin Maxi Bethge zeichnet ein aktuelles Bild: „Wir erwarten noch mehr, als die Senkung der Mehrwertsteuer, zumal in diesem Zuge bestimmte Hersteller ihre Preise erhöht haben. Mittlerweile formieren sich einige Petitionen, weshalb das Thema mehr Aufmerksamkeit erhält. Konkrete Maßnahmen seitens der Politik sehen wir allerdings zurzeit nicht.” Dabei würden es laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zwei Drittel von 1.699 Befragten begrüßen, sollten Menstruierende beispielsweise in öffentlichen Einrichtungen oder Apotheken kostenfreien Zugang zu Hygieneartikeln wie Tampons oder Binden erhalten.

Gesundheitliche Risiken durch Periodenarmut

Ohne Frage sind hierzulande viele Menschen in der Lage, drei oder vier Euro für eine Packung Tampons zu zahlen. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass sich Personen, die von Armut betroffen sind, Periodenartikel nicht im vollen Maße leisten können. So sind im Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gerade mal 2,63 Euro für „andere Dienstleistungen für die Körperpflege” enthalten. Fehlt es an ausreichend Hygieneartikeln, kann sich das dauerhaft auf die soziale Teilhabe auswirken – Betroffene sagen Verabredungen ab oder versäumen in der Schule Unterrichtsstunden. Und noch ein weiterer Personenkreis ist stark von Periodenarmut betroffen: Menschen ohne festen Wohnsitz. Schätzungen zufolge leben allein in Berlin rund 2.500 menstruierende Obdach- und Wohnungslose – hochgerechnet dürfte der bundesweite Wert im sechsstelligen Bereich liegen. Neben der Kostenproblematik skizziert Maxi Bethge daher auch logistische und hygienische Aspekte: „Wenn sich Menschen während der Periode mit Stoffen, Handtüchern oder Socken behelfen, kann das zu Infektionen oder einem toxischen Schock führen. Gleiches gilt für den Fall, wenn aus Gründen des Mangels Tampons zu lange im Körper verweilen.” Der Verein Periodensystem arbeitet daher eng mit Obdachlosenheimen und sozialen Einrichtungen zusammen, um sie mit Hygieneartikeln zu versorgen. Dazu zählen auch Notunterkünfte oder Mädchenheime.


Periodenarmut – ein weltweites Problem

Schätzungsweise 500 Millionen Menschen sind weltweit von Periodenarmut betroffen. UNICEF zufolge nutzen viele Frauen und
Mädchen in Bangladesh etwa alte Tücher als Binden. Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen fehlt mehr als zwei Milliarden Menschen der Zugang zu Sanitärdiensten wie Toiletten oder Latrinen. Auch besitzen nur circa 66 Prozent der Schulen weltweit sanitäre Anlagen. Fehlendes Wasser und Hygiene erschweren es menstruierenden Menschen, ihren Alltag während der Periode reibungslos zu bewältigen.


Bereits seit 2016 sammeln die Mitglieder des Vereins Spenden, um Bedürftige entsprechend zu versorgen. Hinzu kommt jede Menge Aufklärungsarbeit, um das Bewusstsein für Periodenarmut zu schärfen und mehr Aufmerksamkeit zu erreichen. „Kürzlich haben wir erstmals einer Einrichtung, in der Sexarbeiterinnen leben, Softtampons geschickt”, berichtet Maxi Bethge. „Die Benutzung dieser Schwämme erlaubt es den Frauen, auch während der Periode ihrer Arbeit nachgehen zu können. Viele Menschen kennen diese Alternative für herkömmliche Tampons noch gar nicht.” Damit die Thematik weiter in den Fokus der Öffentlichkeit rückt, arbeitet der Verein eng mit Künstlerinnen und Künstlern, Gynäkologinnen und Gynäkologen sowie Schulen und Unternehmen zusammen. Auch im Bereich Social Media ist Periodensystem e. V. stark vertreten, um mehr Reichweite zu erzielen. Es sei aber noch ein weiter Weg, so Bethge. Das merke man bereits an der Tatsache, dass erst seit kurzer Zeit Menstruationsblut in der Werbung nicht mehr in Form einer blauen Flüssigkeit dargestellt werde.  

Kostenlose Menstruationsartikel an Schulen

Das schottische Gesetz für kostenlose Menstruationsartikel schließt auch Schulen mit ein, sodass die Verfügbarkeit von Tampons und Binden dort verpflichtend ist. Allmählich scheint diese Vorreiterrolle auch auf andere Länder abzufärben: So setzte im August 2022 der Schulausschuss der Stadt Düsseldorf durch, „allen interessierten weiterführenden Schulen Spender für Menstruationsartikel und budgetierte Finanzmittel zur Bereitstellung von kostenlosen Menstruationsartikeln in Eigenregie bereitzustellen.” In den teilnehmenden Schulen stehen nun Spenderautomaten, Schränke oder Körbe mit Binden und Tampons bereit. Ein überfälliger Schritt, wie Maxi Bethge findet. Sie nennt weitere Beispiele: „An einer Schule hier in Berlin haben Schülerinnen und Schüler das Problem selbst in die Hand genommen, Spenden gesammelt und davon Körbchen mit entsprechenden Produkten aufgestellt. Das zeigt ja den Bedarf! Die heutigen Jugendlichen sind ziemlich auf Zack und sehr politisch.”

Und dennoch: Solange die gesellschaftliche Tabuisierung und Stigmatisierung der Monatsblutung stattfindet, braucht es weiterhin jede Menge Sensibilisierungsarbeit und offene Gespräche. Denn was bei der Verfügbarkeit von Seife und Handtüchern in öffentlichen Einrichtungen als selbstverständlich gilt, sollte auch für Spender mit Menstruationsartikeln gelten. Oder wie Maxi Bethge es treffend auf den Punkt bringt: „Schließlich würde ja auch niemand erwarten, dass man sein eigenes Klopapier mit auf die Toilette bringt.”

perioden-system.com

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