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Stehendes, weißes Paragraphenzeichen vor grauer Betonwand

BGH: Ärzte müssen Patienten vor Eingriffen mündlich über Risiken aufklären

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Portratitfoto des Artikel-Autors Tobias Kraft
Von TOBIAS KRAFT (Rechtsanwalt, Rechtsabteilung PVS holding)
5 Min.Lesezeit

Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte am 05.11.2024 (Az.: VI ZR 188/23), dass Ärzte ihre Patienten vor einem medizinischen Eingriff umfassend in einem Gespräch über die Risiken aufklären müssen. Nicht ausreichend sei es, wenn nur in einem Schreiben informiert werde. Die Richter begründeten dies damit, dass nur ein persönliches Gespräch Raum für Rückfragen biete und es dem Arzt nur so möglich sei, Ängste oder mögliche Missverständnisse des Patienten zu erkennen und darauf zu reagieren.

Der Fall

Der Kläger war ein Patient, der Schadensersatz von seinem behandelnden Unfallchirurgen verlangte. Der Patient litt unter einer Arthrose mit multiplen freien Gelenkkörpern, die bei ihm anhaltende Beschwerden verursachten. Da konservative Behandlungsmethoden zu keiner signifikanten Verbesserung der Beschwerden führten, ließ der Patient auf Anraten seines Unfallchirurgen eine Arthroskopie durchführen, bei der freie Gelenkkörper beseitigt werden sollten. In zwei Eingriffen entfernte der Arzt auf diese Weise insgesamt 31 der Gelenkkörper.

Schon vor der zweiten Operation klagte der Patient über Missempfindungen bei Berührung des Fußrückens, die sich nach dem zweiten Eingriff noch verstärkten. Es stellte sich heraus, dass die Ursache in einem Neurom sowie einer Hyperalgesie lag, die infolge einer intraoperativen Nervenschädigung entstanden waren. Für den Patienten waren die gesundheitlichen Folgen gravierend: Er wurde dauerhaft erwerbsunfähig, zu 60 % schwerbehindert und litt unter erheblichen körperlichen und psychischen Belastungen.

Bei der Beurteilung, ob dem Patienten ein Schadensersatzanspruch gegen seinen Arzt zusteht, wurde vor Gericht hauptsächlich um die Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung über die Risiken des Eingriffs gestritten. Eine Risikoaufklärung erfolgte nicht mündlich, sondern war ausschließlich in einem schriftlichen Aufklärungsbogen enthalten. Die ersten beiden Instanzen gaben dem Arzt Recht. Beide vorinstanzlichen Gerichte waren der Ansicht, dass der Patient durch den schriftlichen Aufklärungsbogen hinreichend informiert worden sei. Der BGH sah dies anders.

Ordnungsgemäße Aufklärung?

Der BGH stellte zunächst fest, dass eine wirksame Einwilligung des Patienten in den Eingriff eine ordnungsgemäße Aufklärung voraussetze. Hierbei genüge es, den Patienten „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung vom Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln. Über schwerwiegende Risiken, die mit einem Eingriff verbunden seien, habe der Arzt grundsätzlich auch dann aufzuklären, wenn sich diese nur selten realisierten.

Hinsichtlich der Modalitäten der Aufklärung verwiesen die BGH-Richter auf § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB. Darin heißt es: „Die Aufklärung muss mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält.“

Demnach, so der BGH, bedürfe es grundsätzlich eines vertrauensvollen Gespräches zwischen dem Arzt und seinem Patienten. Der Arzt müsse sich in einem Aufklärungsgespräch davon überzeugen, dass der Patient die Hinweise und Informationen verstanden habe. Nur so könne der Arzt auf individuelle Belange des Patienten eingehen, Verständnisprobleme, Fehlvorstellungen und Ängste des Patienten erkennen und eventuelle Fragen unmittelbar beantworten.

Der vom Patienten vor dem Eingriff unterschriebene Aufklärungsbogen enthielt zutreffende Hinweise über die Risiken (u. a. einer Gefahr von Nervenschäden) der Behandlung. Das ließen die BGH-Richter allerdings nicht ausreichen, denn die Risiken hätten nach ihrer Auffassung zwingend in einem Aufklärungsgespräch angesprochen werden müssen. Der für eine selbstbestimmte Entscheidung des Patienten notwendige Inhalt der Aufklärung sei zwingend mündlich mitzuteilen. Lediglich ergänzend, gewissermaßen als Gedächtnisstütze, könne sich der Arzt auf Informationen in Textform beziehen.

Fazit

Nach dem Urteil herrscht Klarheit: Eine Aufklärung über die Risiken medizinischer Eingriffe muss zwingend mündlich erfolgen. Schriftliche Aufklärungsbögen allein sind für eine ordnungsgemäße Aufklärung nicht ausreichend. Verweist der Arzt in einem Gerichtsverfahren nur auf einen vom Patienten unterzeichneten Aufklärungsbogen, droht der Verlust des Prozesses. Der Arzt muss nachweisen, dass er mündlich über die Risiken einer Behandlung aufgeklärt hat. Daher empfiehlt es sich mehr denn je, mündlich aufzuklären und das stattgefundene Aufklärungsgespräch anschließend zu dokumentieren.

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