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„Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein“

„Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein“

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Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Die ethische Verpflichtung aller Protagonistinnen und Protagonisten der Heilberufe, jederzeit für die Gesundheit der Menschen einzustehen, wirft die Frage auf, inwiefern das Gesundheitswesen auch einen Beitrag zum Klima leisten kann. Klar ist, dass dessen Wandel in den kommenden Jahren weiterhin spürbare Auswirkungen auf die Gesundheit mit sich bringt. Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) rückt diese Thematik in den Fokus und setzt sich für den Klimaschutz als Grundlage einer existenziellen Gesundheitsvorsorge ein. 

Es ist ein Wert, der aufhorchen lässt. Satte 5,2 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland resultieren aus dem Gesundheitswesen (zum Vergleich: der Anteil des Luftverkehrs liegt hierzulande bei rund 3,6 Prozent). Betrachtet man den internationalen Klima-Fußabdruck dieses Sektors, kommt ein nicht minder bedenkliches Ergebnis zustande: Wäre das globale Gesundheitswesen ein Land, würde es sich mit einem Anteil von 4,4 Prozent hinter China, den USA, Indien und Russland als fünftgrößter Emittent weltweit einreihen. Die Gründe für solch alarmierende Zahlen sind schnell gefunden, man denke nur an die Produktion und Entsorgung von Arzneimitteln und medizinischen Geräten, an Krankentransporte sowie den Rund-um-die-Uhr-Betrieb von Kliniken und Krankenhäusern. Doch auch in den medizinischen Einrichtungen selbst machen sich die Auswirkungen des Klimawandels längst bemerkbar: Hitze, Allergien, Feinstaub, Stürme oder Überschwemmungen begünstigen teils schwere, lebensgefährliche Krankheitsverläufe bei Patientinnen und Patienten.

All diesen Themen nimmt sich seit dem Jahr 2017 die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) an. Das Netzwerk von Einzelpersonen, Organisationen und Verbänden aus dem Gesundheitsbereich möchte auf die umfangreichen Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam machen und setzt dabei voll und ganz auf die Akteure des Sektors. PD Dr. med. Christian Schulz ist für die Geschäftsführung und inhaltliche Leitung des in Berlin ansässigen Verbunds verantwortlich; er erläutert: „Die qualitativ hochwertige Versorgung eines jeden Einzelnen findet ohne Frage unter angespannten ökonomischen Rahmenbedingungen statt. Da bleibt wenig Spielraum für ökologische Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Mittlerweile wandert der Blick aber über den Tellerrand hinaus, denn immer mehr Menschen verstehen, dass Gesundheitsversorgung nur dann gut sein kann, wenn alle Beteiligten den eigenen CO2-Fußabdruck minimieren.“ Aus diesem Grunde verfolgt KLUG den sogenannten „Planetary Health“-Ansatz, der auf folgendem Gedanken fußt: „Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein.“ Dabei vertrauen die Initiatorinnen und Initiatoren den Angehörigen des Gesundheitswesens, genießen diese doch in der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen und setzen sie sich tagtäglich für die Gesundheit der Menschen ein. „Deshalb sollten alle Mitglieder der Heilberufe zur Sensibilisierung für den Klimaschutz beitragen“, so Schulz, „zumal in diesem Sektor viele Millionen Menschen beschäftigt sind und somit eine äußerst hohe Reichweite gegeben ist.“

Schwerwiegende gesundheitliche Folgen durch Hitzewellen

Klimawandel, Luftverschmutzung, Artensterben und Ozeanversauerung: All diese Symptome besitzen eine unmittelbare Auswirkung auf die Gesundheit des Menschen und können den Weg für Allergien, Lungen- und Hautkrebserkrankungen ebnen. Auch mentale Beeinträchtigungen nehmen verstärkt zu. Seitens der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit soll diese Problematik durchaus eine optimistische Konnotation erhalten – heißt: Noch haben wir es in der Hand, die entsprechenden Stellschrauben für positive Effekte aufs Klima zu bedienen. Dr. Christian Schulz nennt Beispiele: „Wir plädieren etwa für eine gesunde, pflanzenbasierte Ernährung, denn diese beugt Bluthochdruck, Adipositas sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor und schützt obendrein das Klima. Das Gleiche gilt für körperliche Aktivität – wer das Auto stehen lässt und sich fürs Fahrrad entscheidet, lebt gesünder und sorgt für sauberere Luft. In vielen Fällen existieren also gewisse Co-Benefits, die wir automatisch aktivieren, wenn wir unseren Lebensstil ändern.“ Hier sei laut dem Facharzt für Anästhesiologie die tägliche Überzeugungsarbeit in den Praxen und Kliniken nicht hoch genug einzuschätzen.

Dass der Klimawandel Jahr für Jahr extremere Temperaturen begünstigt und Hitzewellen auch in Deutschland immer häufiger auftreten, ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Die vom Deutschen Wetterdienst verwendeten klimatologischen Kenngrößen „Heiße Tage“ und „Tropennächte“ stellen eine Grundlage zur Beurteilung von gesundheitlichen Belastungen dar. Unter einem „heißen Tag“ ist demnach ein Tag mit Höchsttemperaturen oberhalb von 30 Grad C zu verstehen; die Temperatur einer „Tropennacht“ wiederum unterschreitet per Definition die 20 Grad C nicht. Beide Phänomene sind hierzulande etwa in den „Hitzesommern“ der Jahre 2003, 2015 und 2018 häufig aufgetreten. Auch wenn diese Indikatoren der Lufttemperaturen regional verschieden stark ausgeprägt auftreten – schwerwiegende gesundheitliche Folgen für Herz, Kreislauf und Atemwege sind unbestritten. „Besonders betroffen sind ältere Menschen und all jene mit Vorerkrankungen“, weiß Dr. Christian Schulz. „Wer bereits an einer Herzschwäche leidet, hat bei extremen Temperaturen große Schwierigkeiten, den Blutkreislauf aufrecht zu erhalten. Auch Schwangere zählen zum Kreis der Gefährdeten, erhöht sich doch die Rate von Früh- und Fehlgeburten im Zuge von Hitzewellen.“ Dem Mediziner zufolge existieren unzählige weitere Wechselwirkungen, die nur teilweise oder noch gar nicht in der Breite der Gesundheitsberufe erfasst worden sind.

Auch sozial benachteiligte Menschen sollten bei der Klimaproblematik nicht in Vergessenheit geraten, leben diese doch häufig in den weniger grünen Teilen der Städte. In diesen dicht besiedelten Gebieten heizen sich Gebäude und Straßen unter der Sonneneinstrahlung tagsüber auf; die Hitze staut sich, auch über Nacht. „Da lassen sich große Temperaturunterschiede ausmachen, was die Notwendigkeit unterstreicht, vorbeugend den Städtebau entsprechend anders auszurichten“, mahnt Schulz. Wenn sich ein Körper erst gar nicht von den hohen Temperaturen erholen kann – findet also eine Regeneration kaum statt – sind auch hier schwerwiegende gesundheitliche Folgen zu nennen.


Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) erhält Unterstützung von vielen medizinischen Fachgesellschaften, dem Deutschen Ärztetag, dem Deutschen Pflegetag sowie Forschungsinstituten und NGOs. KLUG wird gefördert durch die Stiftung Mercator, die European Climate Foundation und das Umweltbundesamt und wirbt um Allianzen für ihre strategischen Ziele in der Öffentlichkeit. Wichtige Partnerinnen und Partner in den Handlungsfeldern sind u. a. die Ärztin und Epidemiologin Prof. Dr. Dr. med. Sabine Gabrysch, der Arzt Dr. med. Eckart von Hirschhausen und seine Stiftung Gesunde Erde, der Astrophysiker Prof. Dr. Harald Lesch sowie das Museum für Naturkunde Berlin (Leitung: Prof. Dr. Johannes Vogel).


Noch lange nicht am Ziel

Laut KLUG bestehe keineswegs ein Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen darüber, dass der Klimawandel „die größte Herausforderung für die öffentliche Gesundheit des 21. Jahrhunderts“ darstelle und somit ein „medizinischer Notfall“ sei. Umso wichtiger, das Thema verstärkt in den Gesundheitsberufen zu etablieren. „Ein zunehmendes Bewusstsein für die Problematik ist durchaus erkennbar“, so Dr. Christian Schulz. „Es beginnt, sich in den Fachgesellschaften zu verankern. Dazu zählt beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, die im zurückliegenden Frühling gemeinsam mit KLUG ihren Jahreskongress abgehalten hat. Dort konnten wir eindeutige Stellungnahmen vernehmen. Auch sehen wir, dass sich die Landes- und Bundesärztekammern des Themas annehmen – es gewinnt also an Fahrt. Dennoch sind wir noch lange nicht am Ziel.“

Und somit drängt die Zeit, möchte man das Bestreben einer klimaneutralen Gesundheitsversorgung bis zum Jahr 2035 nicht aus den Augen verlieren. KLUG sucht daher den direkten Kontakt zu Ärztinnen und Ärzten sowie Praxis- und Klinikpersonal, um in gemeinsamer Zusammenarbeit die Minimierung des CO2-Fußabdrucks zu beschleunigen. Auch die Motivation, mit Patientinnen und Patienten zwecks Lebensstiländerung ins Gespräch zu kommen, steht ganz oben auf der KLUG-Agenda, wie der Geschäftsführer betont: „Hier setzen wir sehr stark auf den Faktor »Vernetzung«, indem wir in Kontakt zu vielen Expertinnen und Experten treten und deren Wissen an die Akteure des Gesundheitswesens weitergeben. Auch haben wir kürzlich ein Rahmenwerk für klimagerechte Gesundheitseinrichtungen veröffentlicht – dieses fasst die wichtigsten Handlungsfelder zusammen und soll die Rezipientinnen und Rezipienten dazu ermutigen, die großen Transformationen voranzubringen.“ Wichtige Schritte, um den Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit der breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.

klimawandel-gesundheit.de

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