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„Der Studienplatz wurde mir nicht geschenkt“

„Der Studienplatz wurde mir nicht geschenkt“

Medizinisches Arbeiten auf dem Land steht bei jungen Menschen nicht hoch im Kurs. Eine Quotenregelung soll Abhilfe schaffen. Foto: © andreiko, vladimirfloyd - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Den Wunsch, Ärztin zu werden, hatte Lara Engelke (26) schon früh. Doch da ihr das Lernen in der Schulzeit einst schwerfiel, entschied sie sich zunächst für den Pflegeberuf und absolvierte eine Ausbildung. Doch auch nach dem Examen und weiteren sechs Jahren Berufserfahrung verlor Lara Engelke ihr eigentliches Ziel nie aus den Augen: Per Landarztquote erhielt die Niedersächsin einen Studienplatz an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) – dort studiert sie nun im zweiten Semester Humanmedizin. Empathie und Disziplin, so weiß sie, stehen dabei eher im Fokus, als ein Einser-Abitur.

Beim Blick auf die hausärztliche Versorgung in strukturschwachen Regionen ist hierzulande ein gravierender Nachwuchsmangel festzustellen: Wo sehen Sie die Gründe für diese Entwicklung?

Lara Engelke: Diese Frage lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Viele Studierende in meinem Alter hegen gewisse Vorbehalte gegenüber dem Hausarztberuf, sie peilen eher die große Karriere an oder sehen sich schon in der Chefarzt-Rolle. Ich habe da andere Ansichten: Der Allgemeinmediziner oder Internist hat ein absolut breites Spektrum abzudecken! Am „Tag der Allgemeinmedizin“ habe ich mir hier an der MHH kürzlich den Vortrag eines Hausarztes angehört. Dieser schilderte die Behandlung eines jungen Patienten mit einer Pilzinfektion. Da galt es ganz unterschiedliche Faktoren zu beleuchten: Warum ist die Erkrankung so spät aufgefallen? Was ist zum heimischen Umfeld zu sagen? Wie gestaltet sich der Kontakt zu den Eltern? Letztlich wurde die Infektion vom Haushamster übertragen. Es ist einfach ein ganz breites Feld, das sich dem Hausarzt eröffnet.

Also ein spannendes Berufsbild für Sie?

Ja, denn der Hausarzt ist seinen Patienten total nah, und das über mehrere Generationen hinweg. Dadurch entsteht ein viel größerer Bezug zu den einzelnen Menschen. Während meiner Ausbildung habe ich bei einem ambulanten Pflegedienst gearbeitet – auch an Weihnachten, Silvester und anderen Feiertagen. Da ist mir erst bewusst geworden, wie sehr man in solch ein Familiengefüge hineinwächst.

Junge Menschen haben heute meist andere Vorstellungen von der Berufswelt: Sie wünschen sich feste Arbeitszeiten und eine gewisse Work-Life-Balance.

Das sind tatsächlich Themen meiner Generation. Natürlich ist es mir als Studierende noch nicht möglich, den Arbeitsalltag eines Allgemeinmediziners oder Hausarztes in Gänze zu beurteilen. Ich denke aber, dass es gerade im Falle einer Praxisniederlassung ähnlich wie im Handwerk ist: Die Arbeit ist selbst und ständig zu erledigen. Neben der Patientenversorgung ist da auch der Büroalltag zu meistern. Doch auch die Ärzte, die ich während meiner Ausbildung im Klinikum Henriettenstift in Hannover kennenlernen durfte, mussten auf eine Work-Life-Balance verzichten: Da standen nicht selten Doppelschichten auf dem Programm. Dafür muss man gemacht sein. Nach dieser Ausbildung wurde ich von der Klinik übernommen, sodass auch ich den Schichtdienst kenne. Darunter leiden in der Tat viele Freundschaften und Kontakte.

Es war bereits früh Ihr Wunsch, Ärztin zu werden – doch fiel Ihnen laut Eigenaussage das Lernen in der Schule schwer. Wie verlief der weitere Weg nach Abschluss der 10. Klasse?

Im Rahmen eines Schulpraktikums durfte ich schon damals die Arbeit in einer Klinik kennenlernen. Im Unterricht allerdings, das kann ich heute rückblickend sagen, war ich nicht immer die Fleißigste. Es gab auch Lehrer, die mir meinen Berufswunsch ausreden wollten. Daraus zog ich jedoch erst recht jede Menge Energie und meine Motivation. Ich beriet mich ausführlich mit meiner Familie – vor allem mein Vater hat mich immer darin bestärkt, an meinem Traumberuf festzuhalten. Also habe ich nach dem Realschulabschluss meine Ausbildung begonnen, in deren Zuge ich viel Kontakt zu Ärzten hatte. Die rieten mir damals: „Bleib doch nicht Krankenschwester. Studier‘ Medizin, wenn du so für diesen Beruf brennst!“

Nach Ihrer Ausbildung zur Krankenpflegerin wollten sie daher ab 2019 das Abitur nachholen. Wie schauen Sie heute auf diese Zeit zurück?

An der Abendschule in Hannover gab es zu dieser Zeit ein neues Modell, das es ermöglichte, den Abschluss teils online zu erlangen. In der Praxis hieß das: drei Tage Präsenz in der Schule, zwei Tage Unterricht am heimischen PC. Da ich ja weiterhin im Krankenhaus meinen Schichtdienst absolviert habe, war das für mich gut machbar. Als nach dem ersten halben Jahr jedoch COVID-19 ausbrach, gestaltete sich diese Doppelbelastung allmählich problematisch. In meinem Arbeitsvertrag gab es eine Klausel, die mich dazu verpflichtete, in der Klinik Vollzeit zu arbeiten, sollte es zu einer Ausnahmesituation kommen. Diese war mit der Pandemie schließlich eingetreten. Neben den 8- oder auch 11-Stunden-Schichten abends noch zu lernen, wurde zusehends schwerer – letztlich ist es „nur“ das Fachabitur geworden.

Mit dem Landarztprogramm Niedersachsens tat sich für Sie dann eine alternative Möglichkeit auf, um doch noch Medizin studieren zu können. Wie gestalteten sich die Bewerbung und das Auswahlverfahren?

Ich musste beim Niedersächsischen Zweckverband zur Approbationserteilung meine Fachabitur- und Ausbildungszeugnisse sowie Nachweise über die sechsjährige Berufserfahrung einreichen. Das war im Frühjahr 2023 – Ende Mai erhielt ich dann tatsächlich eine Einladung zum Auswahlgespräch. Kurze Zeit später fand ich mich unter 120 Mitbewerbern in der Ärztekammer wieder, wo es nach einer kurzen Einführung darum ging, Fallbeispiele zu bearbeiten und Aufklärungsgespräche mit Schauspielpatienten zu führen. Im Mittelpunkt standen dabei Fragen à la „Wie gehen Sie mit herausfordernden Situationen um?“ oder „Wie kommunizieren Sie mit einem Menschen, der stark verunsichert ist?“ Meine Berufserfahrung war in diesen Situationen eine große Hilfe, gab es doch gerade auf der Intensivstation der Klinik immer wieder Gespräche mit Angehörigen, die sich in einer Ausnahmesituation befanden.       

 


Wofür steht die Landarztquote?

Die sogenannte Landarztquote wurde in Deutschland eingeführt, um dem Mangel an Hausärzten in ländlichen Regionen entgegenzuwirken. Als erstes Bundesland führte Nordrhein-Westfalen die Quote im Dezember 2018 ein – mittlerweile setzen insgesamt zehn Bundesländer auf diese Regelung. Die alternative Zugangsmöglichkeit zum Medizinstudium sieht vor, dass je nach Land ein bestimmter Prozentsatz aller zur Verfügung stehenden Medizinstudienplätze an Landarzt-Bewerber vergeben wird. Diese wiederum verpflichten sich vertraglich dazu, nach einem erfolgreich abgeschlossenen Studium als Allgemeinmediziner oder Facharzt für mindestens zehn Jahre in einer unterversorgten Region zu arbeiten. Durch diese Quotenregelung ist die Aufnahme eines Medizinstudiums unabhängig vom Numerus Clausus möglich.


 

Entscheidender Faktor, um ein Medizinstudium beginnen zu können, ist in der Regel der Numerus Clausus – empfinden Sie dies als noch zeitgemäß?

Es gibt nun mal viele Bewerber, die ein Medizinstudium aufnehmen möchten. Da ist es völlig klar, dass es ein Ausschlusskriterium braucht. Ich frage mich allerdings, ob das in erster Linie ein Einser-Abitur sein muss. Empathie und kommunikative Fertigkeiten spielen meines Erachtens eine ebenso gewichtige Rolle. Hinzu kommen fachliche Kenntnisse sowie vor allem extreme Disziplin – und zwar schon während des Studiums. Vier Tage meiner Woche gehören voll und ganz der Uni, jeweils von 9 bis 18 Uhr. Abschalten ist dann abends leider nicht möglich, da ich weiter lernen muss. Das sollte jedem im Vorfeld bewusst sein.

Dank der Landarztquote studieren Sie nun Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover: Was entgegnen Sie Kritikern, die eine Verwässerung des Medizinstudiums befürchten?

Hier an der Medizinischen Hochschule Hannover hat es mir noch niemand vorgehalten, dass ich meinen Studienplatz über die Landarztquote und somit ohne Abitur erhalten habe. Auch in meinem Familien- und Freundeskreis sind sich alle einig, dass es keinerlei Gründe zur Rechtfertigung gibt. Negative Reaktionen kommen aber vor: Über die Social Media-Kanäle der MHH habe ich beispielsweise von meinem Weg berichtet – da gab es Kommentare wie etwa „Wo kommen wir denn da hin, wenn bald jeder Medizin studieren kann?“ … Diese Einschätzung empfinde ich als absolut falsch, schließlich wurde mir der Studienplatz nicht geschenkt. Vielmehr habe ich dafür jahrelang auf einer Intensivstation gearbeitet und mein Fachabitur während dieses Vollzeitjobs erlangt – und das inmitten der Pandemie.

Wie beurteilen Sie die mit der Quote verknüpfte Verpflichtung, nach Studium und Weiterbildung mindestens zehn Jahre hausärztlich in einer unterversorgten Region zu arbeiten? Können junge Menschen die Tragweite einer solchen Entscheidung einschätzen?

Da ist es wirklich wichtig, abzuwägen. Direkt nach der Schulzeit weiß noch nicht jeder, wohin der Weg führen soll. Letztlich kann ich nur für mich sprechen: Meine bisherige Berufserfahrung hat mir bei dieser Entscheidung sehr geholfen. Ich stehe mit beiden Beinen fest im Leben und weiß, was ich will – und was nicht. Schichtdienst soll es auf Dauer beispielsweise nicht mehr sein. Vielmehr möchte ich später Palliativmedizinerin werden und als Hausärztin diese Versorgung auf dem Land voranbringen. Da es sich dabei um eine unglaublich dankbare Arbeit handelt, stellte es für mich absolut kein Problem dar, diesen Vertrag zu unterschreiben.

Gibt es weitere Pläne für die Zukunft?

Ich tausche mich regelmäßig mit anderen Studierenden aus, die mittels Landarztquote an die Hochschule gekommen sind. Da werden dann natürlich auch Zukunftspläne diskutiert. Gerade zu Beginn des Studiums gehen da die Vorstellungen noch auseinander. Dies wird sich sicher ändern, wenn die vorklinische Ausbildung abgeschlossen ist. Da ich aber auch in einer ländlichen Region aufgewachsen bin, sehe ich mich perspektivisch ohnehin dort. RT•

mhh.de

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