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Emotional berühren, ganz ohne Worte

Emotional berühren, ganz ohne Worte

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Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Der therapeutische Ansatz, die seelische, körperliche und geistige Gesundheit mit dem Einsatz von Musik wiederherzustellen, ist spannend und facettenreich. Menschen aller Lebensalter können von der Arbeit mit Instrumenten, Klängen und eigenen Improvisationen profitieren – dazu zählen Patienten mit somatischen, psychischen oder psychiatrischen Erkrankungen, aber auch Personen, die sich vielleicht in einer Krisensituation befinden. Experten setzen sich dafür ein, dass die Musiktherapie in Politik und Gesellschaft noch mehr Anerkennung findet.

Musik basiert auf Klang, auf Rhythmus und natürlich Melodie. Ihr gezielter Einsatz im therapeutischen Kontext kann verschlossene Türen zu Emotionen öffnen, Wohlbefinden stabilisieren und selbst jenen Patienten eine „Sprache” geben, die diese vielleicht verloren haben. Indem Musik Gefühle, Stimmungen und auch Erinnerungen im Menschen hervorruft, entfaltet sie ihre heilende Wirkung – etwa in der Psychiatrie, der psychosomatischen Medizin, der Neurologie oder auch der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ein solch breitgefächertes Anwendungsgebiet lässt allerdings auch erahnen, dass eine klare Definition des Begriffs „Musiktherapie” schwerfällt. So unternahmen bereits in den 1990er-Jahren Vertreter acht musiktherapeutischer Vereinigungen* den Versuch, in Deutschland einen schulenübergreifenden Konsens zur Musiktherapie herbeizuführen. Die sogenannten „Kasseler Thesen” – zehn an der Zahl und 1998 final auf den Weg gebracht – beleuchten bis heute theoretisch-wissenschaftliche Grundlagen der Musiktherapie, heben Ausbildungsschwerpunkte hervor und definieren Anwendungsbereiche. So sind es Aussagen wie „Musiktherapie ist eine praxisorientierte Disziplin”, „Als akustisches Geschehen ist Musik Artikulation menschlichen Erlebens mit Ausdrucks- und Kommunikationsfunktion” oder „Musiktherapie wird in Institutionen des Sozial- und Gesundheitswesens durchgeführt”, die eine verbindliche Basis für die Qualitätssicherung bieten sollen. Je nach Krankheitsbild findet eine auf Musik basierende Therapie in ganz unterschiedlichen Settings statt. Patienten, die beispielsweise unter starken Kontakt- und Beziehungsstörungen leiden (wie es etwa bei Autismus der Fall ist), finden in der Einzeltherapie einen geschützten Rahmen vor: Hier ist eine verbale und nonverbale Kommunikation zwischen Therapeut und Patient gegeben. Anders ist es in der Gruppentherapie, wo der Fokus auf kommunikativen und sozialen Aspekten liegt. Ob nun Face-to-Face oder im Verbund, immer ermöglicht es das aktive Tun mit Instrumenten und Klängen, Gefühle dank der Sprache der Musik hörbar zu machen. Im gemeinsamen und improvisierten Spiel mit dem Therapeuten dreht sich alles um das Mitgestalten – Neues entsteht und Veränderungen kommen in Gang. Dies ist auch bei einer weiteren Spielart, der rezeptiven Musiktherapie, der Fall. Wie es der Name bereits verrät, nehmen Patienten hier während des aktiven Hörens von Musik Schwingungen wahr, die körperlich oder psychisch auf sie einwirken. Gemeinsam mit dem Therapeuten folgen im Anschluss Gespräche über entstandene Gefühle, Körperwahrnehmungen oder bildhafte Vorstellungen. Besonders dann, wenn die alltägliche Sprache an Grenzen gerät – bei Autisten, Alzheimer-Patienten oder Aphasikern – gilt die nonverbale therapeutische Disziplin der Musiktherapie als äußerst erfolgsversprechend.    

Basale Entwicklungschancen verbessern

Mit ihren rund 1.600 Mitgliedern engagiert sich die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DMtG) für all jene, die hierzulande mit dem professionellen therapeutischen Einsatz von Musik arbeiten. Dabei unterstützt die wissenschaftliche Fachgesellschaft sowohl die Belange der Musiktherapeuten, als auch jene der Patienten. Der Etablierung des Therapieverfahrens im Gesundheitswesen kommt dabei eine ganz besondere Rolle zu, wie Prof. Dr. Lutz Neugebauer, Vorstandsvorsitzender der DMtG, betont: „Musiktherapie baut auf nonverbaler musikalischer Interaktion auf und bietet einzigartige Möglichkeiten auf der wichtigen emotionalen Ebene.” Er hebt besonders die positiven Effekte der musikgestützten Therapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie hervor: „Sie hilft, basale Entwicklungschancen zu verbessern und einen Zugang zu Kindern mit kognitiven und sprachlichen Einschränkungen zu finden. Musiktherapie hilft Kindern und Jugendlichen, ihre psychomotorische Anspannung zu regulieren und ihre Wahrnehmung besser zu koordinieren.” Dies, so stellt der Experte fest, sei die Voraussetzung dafür, dass verhaltenstherapeutische Verfahren, die gemäß den Leitlinien primär empfohlen werden, überhaupt angewendet werden können.

In über zwei Drittel der kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken, so ist von der DMtG zu erfahren, zählt die Musiktherapie inzwischen zum therapeutischen Angebot. Laut der Fachgesellschaft schaffe die „Welt der Musik” mit ihrem künstlerischen Angebot neben der „Welt der Sprache” eine weitere Beziehungs- und Reflexionsebene: So stelle die Musiktherapie ein wertvolles Übersetzungs- und psychotherapeutisches Behandlungsmittel dar. Die musikalische Interaktion findet dabei etwa in Form von Spielliedern, Rollenspielen mit Instrumenten sowie dem gemeinsamen Singen und auch Erfinden von Liedern statt. Der starke Einfluss von Musik auf Körper und Motorik hilft dabei, affektive Spannungszustände zu lösen, was unter anderem bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ein hohes therapeutisches Potenzial verspricht. Auch aus diesem Grunde setzt sich die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft für eine Korrektur der im Jahr 2021 veröffentlichten S3-Leitlinien „Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ in Bezug auf die Bewertung der Musiktherapie ein. Diese hatte eine Negativ-Empfehlung erhalten. Die DMtG fordert, die ganze Breite der wissenschaftlichen Evidenz einzubeziehen, um Fehlschlüsse zu vermeiden: „Mir ist unerklärlich, warum die Leitlinienkommission angesichts vielfältiger Behandlungsmethoden allein lerntheoretische Verfahren favorisiert”, kritisiert Lutz Neugebauer. „Dies wird dadurch deutlich, dass musiktherapeutische Methoden wie Singen, Klatschen und Trommeln zur Sprachförderung empfohlen werden, die Musiktherapie selbst aber nicht eingesetzt werden soll. Wenn zudem Sondervoten verschiedener Fachgesellschaften nicht in den Leitlinien lesbar sind, sondern im Methodenreport »versteckt« werden, ist das bedenklich.” Damit, so der Diplom-Musiktherapeut, würden wichtige Zusatzinformationen vorenthalten.


Verankerung der Musiktherapie im Gesundheitswesen

Die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DMtG) ist mit 1.600 Mitgliedern der größte Fach- und Berufsverband der Musiktherapeuten in Deutschland. Der Verband setzt sich für die Verankerung der Musiktherapie im Gesundheitswesen ein. Aufgrund von wissenschaftlich anerkannten Nachweisen über die positive Wirkung ist Musiktherapie bereits jetzt in zahlreichen medizinischen Leitlinien verankert (zum Beispiel bei Demenz, Schlaganfall und Psychosozialen Therapien).


 

Hohe berufliche Anforderungen

Ob nun als Emotionserwecker, positiver Einfluss auf stressbedingte Körperreaktionen oder als Gesprächsöffner bei verbal schwer zugänglichen Patienten: Hinter dem Sammelbegriff der Musiktherapie finden sich gleich mehrere therapeutische Ansätze und Methoden, die in ganz unterschiedlichen Fällen Hilfe versprechen. Umso wichtiger ist es, dass entsprechende Therapeuten umfassend ausgebildet sind, damit sie diese Vielfalt nicht nur kennen, sondern auch in der Praxis beherrschen. Auch gilt es zu analysieren, welche Therapieform sich beim jeweiligen Patient als angemessen darstellt. Diese hohen beruflichen Anforderungen setzen eine grundlegende Ausbildung voraus, weshalb die Musiktherapie in Deutschland bereits seit Beginn der 1980er-Jahre an sechs wissenschaftlichen Hochschulen oder Kunsthochschulen in verschiedenen Studiengängen angeboten wird. Quereinsteiger aus sozialen Berufen haben zudem die Möglichkeit, sich an einem von insgesamt acht Instituten in privater Trägerschaft ausbilden zu lassen. Allerdings: „Musiktherapeut” ist hierzulande kein geschützter Begriff, weshalb es theoretisch jedem möglich ist, eine solche Berufsbezeichnung zu führen. Mit Blick auf die Qualitätssicherung des therapeutischen Angebots macht Lutz Neugebauer daher klar: „Wir wissen, dass der »Wildwuchs« unseriöser Aus- und Weiterbildungsanbieter die Unsicherheit der Patienten verstärkt.” Deshalb brauche es einen gesetzlichen Rahmen: „Den Regelungsbedarf weiter zu verschleppen, wird der Tragweite der Situation nicht gerecht. Die Politik lässt Patienten mit ihrem Leidensdruck im Stich.“ Dass dieser auch durch die Krisen der vergangenen Jahre weiter zugenommen habe, würden zahlreiche Studien belegen: „Künstlerische Therapien können viel dazu beitragen, dass Menschen sich emotional wieder ausdrücken können, Ressourcen aufbauen und mehr Lebensqualität gewinnen können. Wir brauchen daher mehr Ausbildungskapazitäten”, so der Vorstandsvorsitzende der DMtG. Denn die positive Auswirkung von Musik auf Körper, Geist und Seele, so weiß man bei der DMtG, ist unbestritten: Sie könne emotional berühren und daher auch ohne Worte eine Verbindung zwischen Menschen schaffen – übrigens auch im professionellen musiktherapeutischen Umgang mit dem seelischen Leid geflüchteter Menschen.

musiktherapie.de


* Arbeitsgemeinschaft der staatlich anerkannten Musiktherapieausbildungen (AMA) Berufsverband für Anthroposophische Kunsttherapie e.V. (BVAKT) Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft e.V. (DMtG) Deutsche Musiktherapeutische Vereinigung zur Förderung des Konzepts nach Schwabe e.V. (DMVS) European Music Therapy Confederation asbl (EMTC) Gesellschaft für Orff-Musiktherapie e.V. (GfOMT) Ständige Ausbildungsleiter-Konferenz privatrechtlicher musiktherapeutischer Ausbildungen (SAMT) Verein zur Förderung der Nordoff/Robbins Musiktherapie e.V. (NoRo)

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