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Arzt mit Spritze

Eine Angst, die unter die Haut geht

Die Spritze: Für viele Menschen nur ein kleiner Pikser, für manche jedoch eine unüberwindbare Hürde. Foto: © lev dolgachov - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Wenn Menschen aus Furcht vor Spritzen wichtige Impfungen und Bluttests meiden, drohen ihnen negative Konsequenzen für die Gesundheit. Nicht wenige Betroffene sehen sich aufgrund ihrer Phobie einem hohen Leidensdruck ausgesetzt, der sich – bleibt Angst unbehandelt – über die Jahre potenziert. Hilfe ist jedoch möglich: Am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München erhalten Patienten im Zuge einer Kurzzeittherapie Unterstützung, indem sie mit gefürchteten Situationen konfrontiert werden.  

Impfungen, Betäubungen beim Zahnarzt oder Blutabnahmen dürften kaum jemandem große Freude bereiten – doch während die meisten Menschen die kleinen Pikser hinnehmen und verkraften, leiden in Deutschland rund drei Prozent der Bevölkerung unter einer panischen Angst vor Nadeln sowie dem Anblick von Blut. Das trifft bei weitem nicht nur auf kleine Patienten zu: Auch Erwachsene antworten mit körperlichen Reaktionen wie etwa einem Kreislaufkollaps oder Angstzuständen, sehen sie sich der Verabreichung einer Spritze ausgesetzt. Aufgrund der Entwicklung von COVID-19-Vakzinen und der damit verbundenen Empfehlung zur Impfung, hat das Thema der Blut-, Spritzen- und Verletzungsphobie (BSV) zuletzt zusätzliche Aufmerksamkeit erhalten. So auch am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, wo Prof. Dr. Angelika Erhardt Patienten mit entsprechenden Ängsten behandelt: „Das sind Menschen mit einer teils extremen Panik vor Injektionen und allem, was im weitesten Sinne mit »Verletzungen« einhergeht. Ein Teil der Betroffenen erleidet eine Ohnmacht, selbst beim Betrachten von Bildern, die Blut oder Spritzen zeigen.” Tatsächlich bedeuten kleinere Eingriffe, Blutabnahmen oder eben Impfungen für die Betroffenen eine hohe Stressbelastung.

Spritzenphobie verhindert Corona-Schutzimpfung

Bleibt dieses Leiden unbehandelt, können ernsthafte Folgen entstehen. Denn wenn Impfungen oder Blutabnahmen zu einer unüberwindbaren Hürde geraten und Betroffene somit entsprechende Arztbesuche meiden, begeben sie sich mehr und mehr in einen riskanten Teufelskreis. „Ausgangspunkt für eine Blut-, Spritzen- und Verletzungsphobie sind nicht selten negative Erfahrungen der Patienten mit Impfungen, die sie bereits in der Kindheit gemacht haben”, weiß Prof. Dr. Angelika Erhardt. „Umso wichtiger ist es, dass Eltern emotional und beruhigend auf solche Ereignisse einwirken.” Bekannt ist, dass besonders sensible Kinder zu einer vasovagalen Reaktion neigen, also dem plötzlichen und vorübergehenden Abfall des Blutdrucks sowie einem verlangsamten Puls. Zwar legt sich dies meist im Jugend- und Erwachsenenalter, doch kann sich die Furcht vor Spritzen auch für Kinder zu einem Gesundheitsrisiko entwickeln, etwa dann, wenn sie aus Angst vor dem Praxisbesuch oder einem Impftermin Beschwerden verheimlichen.

Das Thema „Impfung” ist seit Ausbruch der Coronapandemie wiederkehrender Bestandteil in den Nachrichten. Zwar existieren noch keine validen Zahlen bezüglich der Frage, wie viele Menschen aufgrund einer Spritzen-Phobie die entsprechende Schutzimpfung scheuen; am Max-Planck-Institut für Psychiatrie erkennt man jedoch die erwiesene Notwendigkeit, für die Problematik zu sensibilisieren. Prof. Dr. Angelika Erhardt: „Es handelt sich dabei um Menschen, die keinesfalls die neuen Impfstoffe in Frage stellen. Sie möchten sich auf jeden Fall schützen.” Allein die große Angst vor der notwendigen Injektion hindere sie daran, so die Oberärztin und Leiterin der Ambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie. Neben den fehlenden Impfungen nennt die Expertin ein weiteres Beispiel für die fatalen Auswirkungen einer Blut-, Spritzen- und Verletzungsphobie: „In seltenen Fällen entscheiden sich Frauen mit Kinderwunsch gegen eine Schwangerschaft, da sie sich vor den notwendigen Bluttests oder Injektionen ängstigen. Dabei befürchten die Betroffenen nicht nur den Schmerz durch den Pikser – oft steht auch die Verletzung am Körper im Vordergrund. Die Nadel wird als Fremdkörper wahrgenommen, was ein Gefühl des Kontrollverlustes hervorruft.”  

Kurzinterventionsprogramm verspricht Heilung

Zur Behandlung eben solcher Phobien können Betroffene in der Ambulanz für Angsterkrankungen des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie eine Kurzzeittherapie beginnen, die rund sechs Sitzungen vorsieht. Therapie der Wahl bei der BSV ist eine „In-vivo-Exposition”, also die Konfrontation mit dem angstmachenden Ereignis in der Realität. Vor Ort in München arbeitet das Team daher mit dem Anstieg der Angst, spielt entsprechende Situationen durch und sorgt so für eine neue Verarbeitung der Phobie. „Ganz zu Beginn der Therapie erlernen die Patienten die Technik der angewandten Anspannung, um so eine drohende Ohnmacht verhindern zu können”, erklärt Prof. Dr. Angelika Erhardt. „Anschließend geht es darum, gemeinsam einen Plan zu erstellen, eine Zielformulierung, damit Vermeidungssituationen künftig nicht mehr eintreten.” Das verhaltenstherapeutische Kurzinterventionsprogramm beinhaltet in den ersten beiden Sitzungen grundlegende Informationen über die BSV und liefert Antworten zu Fragen rund um Phobien und Ekel. Auch findet eine Beschäftigung mit dem erwähnten Teufelskreis der Angst statt. Die Sitzungen drei und vier sehen dann die sukzessive Auseinandersetzung mit der individuellen Angst vor: „Wichtig ist es, schnell in die Konfrontation hineinzugehen – nur so lässt sich herausfinden, wie stark die jeweilige Symptomatik ist und welches Vorgehen sich empfiehlt”, unterstreicht die Oberärztin. Während die erste In-vivo-Exposition das Zeigen von Fotos (Spritzen, Blut, Injektionen) vorsieht, werden in einem weiteren Schritt Videoaufnahmen der angstauslösenden Elemente gezeigt. Es folgen ein Fingerstich und letztlich gar Blutentnahmen oder auch Injektion von Kochsalzlösung durch fachmännisches Personal.

Prof. Dr. Angelika Erhardt weiß von einer hohen Erfolgsquote zu berichten, denn mehr als zwei Drittel der Phobiker seien therapierbar. Die Angst vor Injektionen, Blut oder Verletzungen ist in vielen Fällen von einer großen Scham der Betroffen gekennzeichnet; suchen diese sich keine Hilfe, werden sie über die gesamte Lebensspanne hinweg von dieser Phobie beeinträchtigt. Umso wichtiger ist es, bereits frühzeitig erste Anzeichen zu erkennen und entsprechend zu handeln: Im Kindes- und jungen Erwachsenenalter ist die Zahl der Betroffenen mit 20 bis 30 Prozent recht markant; erst im höheren Alter sinkt die Erkrankungshäufigkeit deutlich ab. Bei der Blutabnahme bieten sich für Kinder sogenannte Butterfly-Nadeln an – diese sind dünner und kaum zu spüren. Betäubende Oberflächensprays, im Vorfeld auf die Einstichstelle aufzutragen, können zudem das Druckgefühl der Nadel mindern. Prof. Dr. Angelika Erhardt: „Es ist von großer Bedeutung, dass sich Kinder beim Einsatz von Spritzen auf anwesende Bezugspersonen verlassen können. In keinem Fall dürfen Zwang oder Druck ausgeübt werden. Auch sollten die Gründe für Impfungen und Blutabnahmen zuhause stets nachbesprochen und erklärt werden.” Sind diese Voraussetzungen von Beginn an gegeben, bestehen gute Chancen, dass aus einem kleinen Pikser später keine große Sache gemacht wird.

 


Ambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie

In der Ambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie finden Beratung, Diagnostik und Therapie von Patienten mit psychischen Problemen wie Depressionen, chronischer Erschöpfung oder Phobien statt. Dabei steht im ärztlichen Gespräch jederzeit die sorgfältige diagnostische Einschätzung des Beschwerdebildes im Vordergrund. Besonders in akuten Phasen einer Erkrankung werden vor Ort ambulante Behandlungen angeboten.

psych.mpg.de

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