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„Ich vergleiche die Rheumatologie gern mit einem Krimi”

„Ich vergleiche die Rheumatologie gern mit einem Krimi”

Foto: © Kerckhoff Klinik
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Rheumatische Erkrankungen gestalten sich in ihrem Verlauf ganz unterschiedlich, lassen Betroffene jedoch stets über fließende oder ziehende Schmerzen am Bewegungsapparat klagen. Prof. Dr. Ulf Müller-Ladner ist Ärztlicher Direktor der Abteilung Rheumatologie und Klinische Immunologie des Campus Kerckhoff der Justus-Liebig Universität Giessen in Bad Nauheim – im Interview berichtet der Mediziner vom Wandel der Behandlungsmöglichkeiten und schildert die Herausforderung, mittels maßgeschneiderter Therapie den individuellen Bedürfnissen eines jeden Patienten gerecht zu werden. Denn dazu, so Müller-Ladner, brauche es durchaus einen gewissen (medizinischen) Spürsinn.

Der Oberbegriff „Rheuma” umfasst hunderte verschiedene Krankheitsbilder – können Sie dennoch typische Beschwerden nennen?

Prof. Dr. Ulf Müller-Ladner: Der Begriff „Rheuma” kann mit „Strömung” oder „Fließen” übersetzt werden; in der Hauptsache liegt bei der Erkrankung eine zumeist immunologisch gesteuerte Entzündung am Bindegewebe, an Knochen, an Gelenkstrukturen, Muskeln oder Gefäßen vor. Heißt: Alles, was den Körper miteinander verbindet, kann durch das Immunsystem in Mitleidenschaft gezogen werden. Daraus resultiert der chronische Verlauf einer rheumatischen Erkrankung. Patienten berichten von Schmerzen, die sich in der Folge oftmals verstärken; auch findet aufgrund der Entzündung eine nachhaltige Minderung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit statt.
Wie steht es um äußerliche Merkmale?

Auch diese sind typisch, wenn etwa ein Gelenk anschwillt, die Haut sich entzündet oder vaskulitische Erscheinungen auftreten. Im Prinzip lassen sich drei große Gruppen nennen: Da wären die entzündlichen Gelenkerkrankungen, peripher oder an der Wirbelsäule. Dann die entzündlichen Bindegewebserkrankungen – also etwa der systemische Lupus erythematodes, eine Myositis oder ein M. Sjögren –, und die bereits erwähnten Vaskulitiden. Dies ist die Grundanordnung, Überlappungen sind ebenfalls möglich.

Schmerzen und Bewegungseinschränkungen haben Einfluss auf den Alltag: Was bedeutet dies für Psyche und Lebensqualität?

Das Erste, was die Betroffenen feststellen, ist, dass ihre Beschwerden nicht wieder verschwinden oder sogar stärker werden. Es ändert sich etwas in ihrem Leben, sie suchen nach Antworten und wünschen sich eine entsprechende Diagnose. Das ist psychisch mindestens genauso belastend wie bei einer Erkrankung, die offensichtlicher ist. Die Lebensqualität wird vom ersten Tag an gemindert. Beides gilt es daher so früh wie möglich im Blick zu behalten.

Wie würden sie die Therapiemöglichkeiten heute bewerten? Es heißt, Rheuma sei mittlerweile erfolgreich behandelbar …

Rund um das Jahr 1990 wurde in der Rheumatologie der Wirkstoff Methotrexat eingeführt – vorher existierten nur sehr wenige Medikamente für die spezifische Behandlung rheumatologischer Erkrankungen. Dafür allerdings viele entzündungshemmende Schmerzmittel mit all ihren Nebenwirkungen. Und natürlich Kortison in rauen Mengen. Entlehnt aus der Onkologie galt das entzündungshemmende Methotrexat daher als der erste große Fortschritt. In einer zweiten Stufe wurden zur Jahrtausendwende die sogenannten Biologika eingeführt: Hier sind vor allem die TNF-Hemmer hervorzuheben, die endlich auch eine Behandlung der entzündeten Wirbelsäule möglich machten. Ziel ist es immer, der jeweiligen Erkrankung mit möglichst wenigen Nebenwirkungen effektiv entgegenzutreten.

Welche Möglichkeiten sind im physikalisch-therapeutischen Bereich zu nennen?

Bei einer klassischen rheumatischen Erkrankung steht heutzutage die Medikation absolut im Vordergrund. Aber: Bei veränderten Bewegungsmustern unterstützt die physikalische Therapie durchaus auch langfristig. Behandlungen mit Wärme, Kälte, Strom, Druck oder Zug sind da zu nennen. Diese müssen den Defiziten entsprechend angepasst und fachärztlich begleitet werden.  

Wie äußert sich diese Herausforderung, für jeden Patienten individuelle, maßgeschneiderte Therapiemöglichkeiten zu finden?

In der Rheumatologie wird der Mensch nicht erst aufgeschnitten, um anschließend eine Diagnose stellen zu können. Ich vergleiche die Disziplin daher gern mit einem Krimi. Aus einer Vielzahl an Indizien gilt es, eine Ursache ausfindig zu machen – sozusagen den „Täter” zu finden. Das ist wirklich konservativ-internistische Handarbeit: Sich der ganzen Krankheitsgeschichte zu widmen und den einzelnen Puzzleteilen nachzugehen, um schließlich eine Diagnose stellen und das effektivste Medikament bestimmen zu können. Wird in die falsche Richtung therapiert, verliert man wertvolle Zeit ...

… mit welchen möglichen Folgeschäden?

Wenn die Gelenkhaut die Knochen zerstört, ist das leider irreparabel. Ist wiederum die Niere betroffen, etwa bei einem systemischen Lupus erythematodes, kann es zu Teilleistungsstörungen oder gar einem Komplettverlust kommen. Das geschieht bis auf ganz akute Situationen nicht von heute auf morgen, doch innerhalb von Wochen und Monaten können Schäden auftreten, die nicht mehr zu richten sind. Der Faktor Zeit spielt also eine äußerst wichtige Rolle! Tatsache ist allerdings leider auch: Es existiert keine dauerhafte Heilungschance bei einer rheumatischen Erkrankung, da das Immunsystem stets präsent ist.

In der Kerckhoff-Klinik profitieren Sie von der Kooperation mit anderen Abteilungen.

Die meisten chronisch-entzündlichen Erkrankungen erhöhen durch die kreisenden Entzündungsmoleküle und Immunzellen das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Unsere wichtigsten Organe sind also immer mitbetroffen. Hier auf dem Campus Kerckhoff sind idealerweise sämtliche Fachbereiche vertreten, sodass eine gemeinsame Versorgung gegeben ist. Diese ist essentiell. Im Zuge spezieller Boards kommen zudem die Expertinnen und Experten aller Fachrichtungen regelmäßig zum Austausch zusammen, um vor allem schwierige rheumatische Fälle zu erörtern.

Inwiefern werden Patientinnen und Patienten geschult, damit sie das eigene Krankheitswissen verbessern und den Alltag mit Zuversicht meistern können?

Auch das hat sich über die Jahre gewandelt: Wurden früher noch allgemeine Patientenschulungen durchgeführt, gestaltet sich das Angebot nun differenzierter. Es findet eine kontinuierliche Einzelberatung statt, angepasst an den jeweiligen Krankheitsverlauf. Anstatt also alle Patienten einmal pro Woche in einem großen Saal zu versammeln, vollzieht sich die Struktur der Beratung heute individueller. Dies übernehmen neben den behandelnden Kolleginnen und Kollegen auch die nationalen und regionalen Arbeitsgemeinschaften der Rheuma-Liga sowie die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie. Was allerdings für alle Patientinnen und Patienten gleichermaßen gilt: Etwaiges Rauchen muss unbedingt aufgegeben werden, ist es doch ein Faktor, der das komplette Spektrum rheumatischer Erkrankungen fördert. Zudem die Bitte, die jährliche Influenzaschutzimpfung und natürlich auch alle anderen empfohlenen Schutzimpfungen wahrzunehmen, da jeder Infekt das Immunsystem anheizen und einen Rheumaschub begünstigen kann.

kerckhoff-klinik.de/rheuma

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