Statt im gelernten Beruf des Bankkaufmanns zu arbeiten, entschied sich Frank Busemann mit ganzem Herzen für die Leichtathletik – mit Erfolg, holte der gebürtige Recklinghäuser bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta doch Silber im Zehnkampf. Neben vielen sportlichen Höhen musste Busemann jedoch auch verletzungsbedingte Tiefen akzeptieren, sodass er seine aktive Laufbahn im Jahr 2003 beendete. Heute arbeitet er unter anderem als TV-Experte und -Live-Reporter sowie als Moderator, Referent und Speaker. Bei seinen Vorträgen in Unternehmen zeigt Frank Busemann leidenschaftlich die Analogien von Sport und Beruf auf – und unterstreicht im Gespräch mit PVS einblick: „Auf dem Weg zur Perfektion hauen wie uns zwölfmal das Schienbein an.“
Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs herrschen erneut Zweifel, was die Olympia-Austragung in Tokio betrifft. Was denken Sie, geht da in den Köpfen der Sportlerinnen und Sportler vor?
Frank Busemann: Im Grunde genommen darf da in den Köpfen gar nichts vorgehen! Für alle Athletinnen und Athleten muss zu 100 Prozent feststehen: Im kommenden Juli beginnen die Olympischen Spiele. Was anderes kommt nicht in Frage. Bei den leisesten Zweifeln besteht die Gefahr, dass sich der Gedanke „Für wen oder was trainiere ich hier eigentlich?“ einschleicht. Da ist tatsächlich ein gewisser Selbstbetrug vonnöten, um die Motivation aufrechtzuerhalten. Wenn ich das Ziel „Olympia“ habe, weiß ich, wofür ich mich tagtäglich aufreibe.
Auch Worte motivieren – etwa die Ihres Vaters und Trainers hinsichtlich Ihres Körperbaus in Jugendtagen: „Beine wie ein Pfingstochse und Arme wie die Krampfadern eines Spatzen“ …
Dabei handelte es sich natürlich um eine normale Frotzelei zwischen uns, es herrschte ja jederzeit ein lockerer Umgangston. Außerdem hatte er ja recht! Als ich 13 Jahre alt war, bin ich von einem Arzt zum anderen gerannt, und die einhellige Meinung war: „Mit den Beinen und dem Oberkörper wird es immer Probleme geben. Und dann noch diese platten Füße!“ Als Teenager ist man ja noch nicht so gefestigt, daher habe ich das auch alles erst mal so hingenommen und an mir gezweifelt. Und dennoch bin ich letztlich meinen Weg gegangen: Wir haben meine Füße trainiert und die Skoliose, an der ich damals ebenfalls litt, mit Krankengymnastik in den Griff bekommen.
Also alles richtig gemacht?
Mein Vater wusste ja, was ich drauf hatte, als die oben genannten Sprüche fielen. Ich war bereits Deutscher Jugendmeister und Juniorenweltmeister. Heute, rückblickend, muss ich aber sagen, dass die Ärzte damals recht hatten: Dieser Körper, den ich da mitbrachte, war für Sport nicht gemacht. Der damalige Bundestrainer brachte es auf den Punkt: „Der Busemann hat den Motor eines Ferraris und das Chassis eines Trabbis!“ Ich habe aber glücklicherweise an meinen „Ferrari-Motor“ geglaubt. Da ich später meine Karriere aufgrund von Verletzungen beenden musste, bin ich heute froh, dass ich zeigen durfte, was in mir steckte, was ich drauf hatte. Das ist vielen ja nicht vergönnt. Und das ist exakt das, was ich im Sport gelernt habe: Kein einziger Mensch ist vollkommen, jeder hat seine Schwachstellen. Die Frage ist nur: Wie gehe ich mit dieser Tatsache um? Resignieren oder Akzeptieren? Hätte ich die Herausforderung damals nicht angenommen, würden wir heute nicht miteinander sprechen.
Unvergessen: 1996 holten Sie in Atlanta Olympia-Silber im Zehnkampf, eine Disziplin, zu der Sie erst kurz zuvor gekommen waren. Warum diese Entscheidung?
Perspektivlosigkeit (lacht). Aber im Ernst: Ich war Mehrkämpfer und wollte im Alter von 14 Jahren Deutscher Achtkampfmeister werden, war jedoch, wie erwähnt, zu häufig verletzt. Es galt, etwas technisch Anspruchsvolles zu finden, das die Knochen nicht allzu sehr belastete. So bin ich mit 17 Jahren zum Hürdenlauf gekommen und zwei Jahre später Juniorenweltmeister geworden. Mit 20 Jahren folgte die Deutsche Meisterschaft in der Halle bei den Männern. Leider fiel ich erneut verletzungsbedingt zurück, sodass mir klar war, dass ich im Hürdenlauf keinen internationalen Einsatz erhalten würde. Im Zehnkampf sah ich ein halbes Jahr vor den Olympischen Spielen 1996 bessere Chancen – was sich bewahrheiten sollte.
Beim dortigen Hürdensprint kam es zu einer verfrühten Reaktion im Startblock, doch Sie holten die verlorene Zeit wieder raus. Ihr Urteil im Rückblick: „Der Schreck setzte autonome Reserven frei.“
Ich sage nach wie vor: Wäre ich damals geschmeidiger in den Lauf gekommen, wäre ich noch schneller gewesen. Mein Vater hält dagegen: „Durch dieses kurze Zucken konntest du diese letzten 10 Prozent aus Dir rausholen“, so seine Meinung. Solch ein Moment lässt sich auf viele andere Bereiche anwenden, denken wir nur an die aktuelle Corona-Situation. Nach dem ersten Schrecken kam die Frage auf, wie damit umzugehen ist. Wie können wir auch aus solch einer Lage noch das Beste machen? Dieser Weg ist immer ratsamer, als zu resignieren, so herausfordernd es auch sein mag.
Die Corona-Pandemie also als Paradebeispiel für eine Krise auf ganz unterschiedlichen Ebenen?
Ja, und ich kann da ein eigenes Erlebnis schildern. Am 15. März 2020 bin ich mehr oder weniger „hinten rüber gefallen“. Ich war seelisch tot und konnte zwei Wochen nicht schlafen, da ich nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Eine Schockstarre, die damals viele erleben mussten, denke ich. Ich habe dann meine Strategie verändert und gelernt, mich mehr auf den Moment zu konzentrieren. Die Zukunft nicht mehr detailliert durchzuplanen. Gleichzeitig fragte ich mich, wie meine Vorträge, die ich für gewöhnlich vor Menschen halte, ablaufen könnten. Es standen 40 Termine an, die dann in Form von Web-Seminaren ihre Umsetzung fanden. Meine Rettung! Ich entwickelte Spaß daran, kaufte mir meine erste Kamera, dann ein Stativ und sorgte für die entsprechende Beleuchtung. Im nächsten Schritt habe ich gelernt, kurze Filme zu schneiden. Man darf es kaum laut sagen, aber auf meine alten Tage habe ich mir sogar einen Instagram-Kanal eingerichtet (lacht).
Als Referent und Speaker sagen Sie: „Erfolg ist – zumindest in Teilen – planbar.“ Wie ist das aus heutiger Sicht zu bewerten?
Wenn wir solchen Mächten, wie es diese Pandemie ist, ausgeliefert sind, gilt es natürlich zu überlegen, was wir durch unser aktives Zutun verbessern können. Niemand hat damit gerechnet, niemand kann sagen, wie lange diese Situation noch anhält. Ja, hier stimmt es, „früher war alles besser“, aber dieser Gedanke bringt uns auf Dauer nicht weiter. Jetzt müssen wir neue Pläne formulieren und Ziele anvisieren.
Wo sind denn Überschneidungen zwischen dem olympischen Zehnkampf und unserem „täglichen Mehrkampf“ zu erkennen?
Unser Leben ist ein einziger Mehrkampf! Das ist der Hammer! Wir erleben Höhen und Tiefen, es gibt Hürden und Rückschläge, aber auch große Ziele und Euphorie. Der sportliche Zehnkampf bildet an nur zwei Tagen das ganze Leben ab. In beiden Welten geht es darum, sich auf bestimmte Momente vorzubereiten und diesen entgegenzufiebern. Der Zehnkampf ist der rote Faden in meinen Vorträgen, dann schere ich links und rechts aus und hole die Menschen dort ab, wo sie sich wiederfinden. Da treffe ich zu Beginn durchaus auch mal auf Skepsis – „Was will der uns denn jetzt von Zehnkampf erzählen?“ – doch dann gelingt es mir, diesen Zusammenhang plakativ darzustellen. Dann überträgt meine Zuhörerschaft die Emotionalität des Sports auf ihren Alltag. Einmal wurde ich nach einem Vortrag angesprochen: „Herr Busemann, wissen Sie, weshalb Sie so überzeugend wirken? Weil Sie nie gewonnen haben.“ Heißt: Ich erzähle eben nicht nur das, was ich alles kann … sondern auch davon, was ich eben nicht kann. Und genau da ist doch jeder zu Hause! Auf dem Weg zur Perfektion hauen wir uns zwölfmal das Schienbein an. Wäre ich also achtmal Olympia-Sieger geworden …
… würde man Ihnen Vorträge zur Krisenbewältigung nicht abnehmen.
Genau! Franziska van Almsick sagte mal, es habe sie zu einem besseren Menschen gemacht, dass sie nie Olympiasiegerin gewesen sei. Da muss ich aber zugeben: So bin ich nicht gestrickt. Ich hätte durchaus auch gerne Gold geholt!
Wie ist es möglich, aus sportlichen, aber auch beruflichen Krisen gestärkt hervorzugehen?
Wichtig ist, zu erkennen, was man selbst verändern kann. Ich wurde, wie erwähnt, von meinem Vater trainiert – wir haben uns damals immer jeweils selbst die Frage gestellt: „Was kann ich besser machen, damit das Ergebnis stimmt?“ Es ist absolut zielführend, stets zu hinterfragen, ob man zu einem bestimmten Ergebnis sein Bestes beigetragen hat oder ob es vielleicht sogar noch etwas mehr hätte sein können. Die Schuld immerzu bei anderen zu suchen, ist natürlich einfach. Würden das jedoch alle tun, gäbe es keine Entwicklung mehr.