Der Profifußball hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer medialen Hochglanzwelt entwickelt, in der Schwächen und Karriereknicks gnadenlos bestraft werden: Wer dem extremen Leistungsdruck nicht standhält, bleibt schnell auf der Strecke. Manch ein Betroffener kämpft sich zurück ins Leben, andere wiederum verschwinden nahezu komplett von der Bildfläche. Vier verschiedene Biografien, vier verschiedene Geschichten:
Uli Borowka: Volle Pulle
„Jeder Tag, an dem ich keinen Alkohol getrunken habe, ist für mich mehr wert, als jeder Titel, den ich gewonnen habe!“ Diese nachdrückliche Aussage stammt von Uli Borowka, 388-facher Fußballbundesliga- und sechsfacher Nationalspieler. Und wie es sich anfühlt, Titel zu gewinnen, weiß der 1962 geborener Borowka nur zu gut: Mit Werder Bremen holte er 1988 und 1993 die Deutsche Meisterschaft, 1991 und 1994 den DFB-Pokal und 1992 gar den Europapokal. Doch da war eben auch die andere Seite im Leben des Sauerländers, der einst bei der SG Hemer 08 das Kicken lernte: Uli Borowka war lange Zeit dem Alkohol verfallen, richtete sich irgendwie zwischen Trinken und Training ein, bewältigte in seiner „Hochphase“ pro Tag eine Kiste Bier, eine Flasche Wodka und eine Flasche Whiskey. Zur „Magenberuhigung“ gab es obendrauf Kräuterschnäpse. Parallel dazu zog er sein Programm als Leistungssportler durch. Über dieses Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker hat Borowka gemeinsam mit dem Autor und Journalist Alex Raack ein Buch veröffentlicht: „Volle Pulle“. Der Titel dieser Biographie besitzt durchaus eine doppelte Lesart, galt der Sportler auf dem Platz doch als harter Hund, als „Eisenfuß“, als „die Axt“. Da bekamen Gegenspieler schon mal zu hören: „Heute brech' ich Dir beide Beine.“
Im Buch lernt der Leser jedoch auch einen anderen, ehrfürchtigen Uli Borowka kennen. Wenn er etwa von seinen ersten Schritten im Profizirkus bei Borussia Mönchengladbach berichtet, beeindruckt von Größen wie Lothar Matthäus oder seinem damaligen Trainer, der „Vaterfigur“ Jupp Heynckes. Später folgen die Titel mit Werder Bremen und die Einladung zur Fußballnationalmannschaft. Doch irgendwann kippt diese märchenhafte Erzählung eines Aufsteigers um in einen düsteren Höllenritt: Borowka lässt sich in den 1990ern vom Suff vollends vereinnahmen, schlägt seine Frau, randaliert vor seinem Haus, wacht ohne jegliche Erinnerungen auf einer Matratze auf. Es ereignen sich schwere Autounfälle mit 1,8 Promille, der Boulevard schreibt mit. Uli Borowka, der auf dem Fußballplatz immer den Starken mimte, war ganz unten angekommen. Im Jahr 2000 wagt der Alkoholkranke endlich den richtigen Schritt, begibt sich in eine Suchtklinik und peilt einen dreiwöchigen Aufenthalt an. Uli Borowka bleibt vier Monate, begreift endlich seine lebensgefährliche Situation und kämpft sich ehrgeizig zurück ins Leben.
Seit nunmehr 20 Jahren ist der ehemalige Bundesligaprofi Uli Borowka trocken, spricht in Talkshows über seine Sucht und wirbt als Keynote-Speaker in Kliniken und Unternehmen für einen schonungslosen Umgang mit Sucht- und psychischen Erkrankungen. Was im Zuge dieser Auftritte und im Buch immer wieder durchscheint: Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient. Und Uli Borowka hat diese genutzt.
Daniel Keita-Ruel: Zweite Chance
Die Geschichte von Daniel Keita-Ruel zeigt, was passieren kann, wenn man als hoffnungsvolles Talent über ein paar Abzweigungen doch noch den falschen Weg einschlägt. Eigentlich deutet in den 2000er-Jahren alles auf eine erfolgreiche Karriere in der Fußballbundesliga hin, denn bereits in der Jugend macht der Deutsch-Franzose auf sich aufmerksam und schießt für den Nachwuchs von Borussia Mönchengladbach Tore wie am Fließband. Als der sportliche Aufstieg ins Stocken gerät, kommt Keita-Ruel auf dumme Gedanken, begeht mit ein paar alten Freunden mehrere bewaffnete Raubüberfälle und landet sogar im Gefängnis. Der Karriereknick soll gleichzeitig Wendepunkt sein: Der Fußballer trainiert in seiner Zelle, erhält aufmunternde Briefe und richtet den Blick wieder nach vorn. Als Freigänger setzt Keita-Ruel seine Karriere in der Oberliga fort, entdeckt seinen Torriecher wieder und wechselt nach seiner Haftstrafe in die Zweite Bundesliga. Im Buch zeichnet er diesen Weg eindrucksvoll nach.
Sebastian Deisler: Zurück ins Leben
Weit über 100 Bundesliga-Spiele für Borussia Mönchengladbach, Hertha BSC und den FC Bayern München sowie 36 Länderspiele: Rund um die Jahrtausendwende gilt Sebastian Deisler als das hoffnungsvollste Talent im deutschen Fußball. Schnell jubeln die Medien den jungen Lörracher zum Heilsbringer der Nation hoch; er wird ins Rampenlicht gezerrt und von Fans und Journalisten vereinnahmt. Verletzungen – körperliche und seelische – werfen Deisler jedoch zusehends zurück, sodass sich der Sportler mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurückzieht. Die Reißleine zieht Sebastian Deisler im Alter von nur 27 Jahren: Entnervt und entkräftet verkündet er das Ende seiner Fußballkarriere und verschwindet fast von einem Tag auf den anderen von der medialen Bildfläche. Dass Deisler den Sport geliebt hat, wird in seiner Biografie „Zurück ins Leben“, die er gemeinsam mit dem Journalisten Michael Rosentritt veröffentlicht hat, durchaus deutlich. Das Buch erzählt aber auch viel über die Ängste des jungen Talents, über die qualvollen Verletzungspausen und letztendlich auch die Depressionen, die Sebastian Deisler davontrug. Bis heute lebt er zurückgezogen von der Öffentlichkeit.
Babak Rafati: Ich pfeife auf den Tod!
Es ist der 19. November 2011, als das für diesen Tag angesetzte Bundesligaspiel zwischen dem 1. FC Köln und dem 1. FSV Mainz 05 kurzfristig abgesagt wird: Schiedsrichter Babak Rafati ist nicht wie vorgesehen im Stadion erschienen. Schon kurze Zeit später dringt der Grund für seine Abwesenheit an die Öffentlichkeit: Babak Rafati hatte in einem Kölner Hotel einen Suizidversuch unternommen; nur das beherzte Eingreifen seiner Assistenten und des Notarztes rette ihm das Leben. In seinem Buch „Ich pfeife auf den Tod!“ berichtet der ehemalige FIFA- und DFB-Schiedsrichter von seinen Depressionen, die sich über Jahre hinweg im harten Geschäft des Profisports und dank Mediendruck eingeschlichen hatten – der „kicker“ etwa wählte Rafati damals mehrfach zum „schlechtesten Bundesligaschiedsrichter“. Das Werk soll aber nicht nur der Abrechnung mit jener brutalen Maschinerie dienen. Vielmehr spricht Rafati Betroffenen Mut zu, Warnsignale rechtzeitig zu erkennen und krankmachende Faktoren zu bekämpfen.