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„Krankheitsbilder, die wir heute noch nicht kennen“

„Krankheitsbilder, die wir heute noch nicht kennen“

Alles andere als harmlos: Bei der Nutzung von Vaporizern und E-Zigaretten entstehen gesundheitsschädliche Substanzen. Foto: © Aliaksandr Barouski - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Der Konsum von E-Zigaretten ist in den vergangenen Jahren um ein Vielfaches gestiegen: Vor allem bei Jugendlichen liegen die sofort einsatzfähigen Produkte im Trend, nicht zuletzt aufgrund ihres attraktiven Designs und einer cleveren Vermarktung. Experten warnen allerdings davor, in den sogenannten Vaporizern ein harmloses Lifestyle-Produkt zu sehen: Längst ist bekannt, dass auch beim Dampfen nicht wenige gesundheitsschädliche Substanzen entstehen. Über diese Tatsache können auch die meist süßlichen Aromen nicht hinwegtäuschen.

Sie kommen in Geschmacksrichtungen wie Blueberry, Watermelon, Strawberry-Kiwi oder Pink Lemonade daher; ihre Anbieter werben mit einem satten Geschmack, knalligen Designs und der leichten Handhabung für Neueinsteiger: E-Zigaretten erfreuen sich einer stetig wachsenden Beliebtheit und erreichen dabei ein immer jüngeres Publikum, nicht zuletzt, da sie bequem online oder mittlerweile auch per Verkaufsautomat erhältlich sind. Dampfen statt Rauchen – stellen die als Lifestyleprodukt verkauften elektrischen Zigaretten und Vaporizer tatsächlich eine harmlosere Variante der herkömmlichen Tabakzigaretten dar? Mitnichten, wie von Expertenseite zu erfahren ist. Zwar enthalte der Dampf einer E-Zigarette im Vergleich zum Rauch einer Zigarette wohl weniger gesundheitsschädliche Stoffe – aktuelle Studien belegen jedoch, dass dennoch viele Substanzen mit toxischen Eigenschaften in den Produkten auszumachen sind. Dr. Claudia Bauer-Kemény leitet die Abteilung für Prävention und Tabakentwöhnung an der Thoraxklinik Heidelberg und weiß um die Attraktivität der Verdampfer bei der jungen Zielgruppe: „E-Zigaretten werden vor allem in der Einweg-Version in bunten Farben inklusive einer großen Vielfalt an meist süßen und fruchtigen Geschmackssorten angeboten. All das spricht junge Menschen unheimlich an und suggeriert eine gewisse Harmlosigkeit. Hinzu kommt, dass sich E-Zigaretten problemlos verstecken lassen, unterscheiden sie sich optisch doch kaum von einem Textmarker im Federmäppchen.“ Lehrer und Eltern, so Claudia Bauer-Kemény, könnten da mitunter kaum einen Unterschied erkennen.

Was herkömmliche Zigaretten und die E-Variante vereint: In beiden Fällen inhalieren die Konsumenten ein Aerosol, das aus flüssigen und festen Schwebeteilchen sowie verschiedenen Gasen besteht. Während bei Zigaretten Tabak verbrannt wird, verdampfen Vaporizer und E-Zigaretten ein Liquid, dem wiederum Aromen à la Kirsche, Apfel und Vanille beigefügt sind. Im Lebensmittelbereich sind diese zwar als Zusatz zugelassen; für den Gebrauch dieser Inhaltsstoffe in erhitzter und verdampfter Form fehlt es aber noch an fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Klar ist allerdings: Der Zusatz von Aromastoffen erleichtert bei bislang nicht rauchenden Jugendlichen den Einstieg in den Konsum, da sie den bitteren Geschmack des Nikotins maskieren und damit die Gefahr einer Nikotinabhängigkeit erhöhen und aufrechterhalten, mahnt Claudia Bauer-Kemény. „Aufgrund des tiefen Eindringens von ultrafeinen Dampfpartikeln in die Lunge und der möglichen Bildung unbekannter toxischer Substanzen fürchten viele Pneumologen bereits heute, dass wir in rund 20 Jahren Krankheitsbilder sehen werden, die wir derzeit noch nicht kennen“, so die Expertin.

Verkaufsverbot von Einweg-E-Zigaretten

Seit dem 1. Januar 2025 gilt in Belgien ein Verkaufsverbot für Einweg-E-Zigaretten. Damit nehmen unsere Nachbarn eine Vorreiterrolle ein: Als erstes Land in der EU möchte man vor allem Kinder und Jugendliche auf diese Weise wirksam vor einem möglichen Schritt in die Nikotinabhängigkeit bewahren. Auch erhofft sich das belgische Gesundheitsministerium durch diese Maßnahme eine Abfallreduktion, sind die Einwegprodukte doch mit einem Akku und einer Plastikoberfläche versehen. Auch hierzulande waren die Folgen für Umwelt und Gesundheit durch den wachsenden Konsum von Einweg-E-Zigaretten bereits Thema in der Politik: Am 22. November 2024 hat sich der Bundesrat für ein Verbot von Einweg-E-Zigaretten in Deutschland ausgesprochen. Für eine entsprechende Änderung der Novelle des Elektrogesetzes haben die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer damals mehrheitlich gestimmt.


 

E-Zigaretten zur Tabakentwöhnung?

Neben der einfachen Handhabung, einer vielfältigen Aromenauswahl und der vermeintlich rücksichtsvolleren Form des Rauchens („Kein Tabakgestank!“) werben Anbieter von E-Zigaretten auch mit dem Argument, die Dampfvariante könne die Entwöhnung von herkömmlichen Zigaretten unterstützen. Doch auch zur Beantwortung der Frage, ob ein Umstieg von Tabak auf Dampf tatsächlich hilfreich ist, fehlt es an Langzeitstudien. Weder in der aktuellen S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit“ noch laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden E-Zigaretten als geeignete Methode zur Raucherentwöhnung empfohlen. Vielmehr handele es sich laut WHO hierbei um eine irreführende Vermarktungsstrategie, da beide Varianten gesundheitliche Risiken bergen und auch das Vapen durchaus mit nikotinhaltigen Inhaltsstoffen möglich ist. Nicht wenige Raucher werden nach einem Umstieg aufs Dampfen zudem rückfällig oder kombinieren gar E- und Tabakzigaretten. Claudia Bauer-Kemény: „Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin hat gemeinsam mit vielen weiteren medizinischen Fachgesellschaften ein Positionspapier formuliert, das die E-Zigarette ganz klar nicht zur Tabakentwöhnung empfiehlt. Im Gegensatz zu Nikotinersatzmitteln werden diese nämlich von der Mehrheit der ausstiegswilligen Raucher dann dauerhaft genutzt.“ Der gleichzeitige Genuss beider Varianten – der sogenannte Dual Use – könne laut der Abteilungsleiterin für Prävention und Tabakentwöhnung an der Thoraxklinik Heidelberg zudem gravierende gesundheitliche Folgen haben: „Die Konsumenten riskieren dabei eine noch stärkere Schadstoffbelastung, wodurch das Risiko für Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen höher ist, als bei alleinigem Zigarettenkonsum.“

Da die Konsumenten von E-Zigaretten zusehends jünger werden, rücken Fragen zu möglichen Beeinträchtigungen der Entwicklung in den Fokus. Bereits kurz nach dem Zug an einem Vaporizer erreicht das Nikotin über die Blutbahn das Gehirn, wo es aufgrund von Dopamin-Ausschüttungen ein gewisses Wohlgefühl erzeugt. Gerade im Jugendalter beeinträchtigt Nikotinkonsum die Hirnreifung, was sich etwa auf das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit sowie die grundlegende Stimmungslage auswirken kann. „Das Suchtpotential von Nikotin ist so groß, dass fast ein Viertel aller 12- bis 14-jährigen Rauchanfänger schon nach vier Wochen erste Entzugssymptome zeigt – selbst dann, wenn man nur gelegentlich zur Zigarette greift“, weiß Claudia Bauer-Kemény aus ihrer täglichen Arbeit. „Unabhängig von ihrem möglichen Nikotingehalt geben E-Zigaretten schädliche Dämpfe ab, die aus unzähligen Chemikalien bestehen, teils mit einer völlig ungewissen Wirkung.“ Die Expertin berichtet von umfassenden Studien, die gezeigt haben, dass E-Zigaretten schon bei kurzfristiger Verwendung zu Irritationen der Atemwege und einer Entzündung der Bronchien führen. Zudem besteht bei längerfristigem Gebrauch ein gesteigertes Risiko für verschiedene Atemwegserkrankungen, Schädigungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie ein erhöhtes Krebsrisiko.  

Belastung durch Passivrauchen

Im Gegensatz zu Tabakzigaretten gibt die elektrische Variante zwischen den Zügen keinen Passivrauch ab. Allerdings kann das durchs Verdampfen entstehende Aerosol krebserregende Substanzen wie Formaldehyd und Acetaldehyd enthalten. Somit ist zu klären, inwiefern beim Vapen auch eine Belastung des Umfelds stattfindet, vor allem dann, wenn es in geschlossenen Räumen stattfindet. „Der Konsum von E-Zigaretten beeinträchtigt durchaus auch die Raumluft“, so Claudia Bauer-Kemény. „Es ist zwar davon auszugehen, dass die Belastung hier deutlich geringer ausfällt, als beim Tabakrauch. Sie ist aber absolut vorhanden und ebenso bedenklich.“ Ultrafeine Partikel, die sich im ausgeatmeten Aerosol befinden, seien hier laut der Medizinerin besonders problematisch, dringen sie doch in tiefere Regionen der Lunge vor. Dort können sie unter anderem Entzündungsreaktionen auslösen. Wie auch herkömmliche Zigaretten sollte die elektrische Variante daher nur in den Bereichen konsumiert werden, in denen auch das Tabakrauchen erlaubt ist.

Letztlich bilden sämtliche Formen des Rauchens die Ursache für ganz unterschiedliche Erkrankungen ab, insbesondere der Lunge und der Atemwege. Die Thoraxklinik Heidelberg – eine der ältesten und größten Lungenfachkliniken Europas – ist seit Januar 2013 Mitglied im Deutschen Netz Rauchfreier Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen e.V. und hat 2024 für ihre vorbildlichen Maßnahmen zur Förderung einer rauchfreien Umgebung das Silberzertifikat verliehen bekommen. Dort weiß man: Etwa 70 bis 90 Prozent der Raucher möchten laut Umfragen ihren Konsum zwar beenden, wissen allerdings nicht, wie. Zu Beginn ihrer Sprechstunden zur Tabakentwöhnung verdeutlicht Claudia Bauer-Kemény ihren Teilnehmenden daher stets, dass ein Verzicht nur mit der nötigen Motivation gelingen kann: „Da gilt es auf der einen Seite eine körperliche Abhängigkeit zu überwinden, auf der anderen aber auch die psychische. Auch muss der Rauchstopp gut vorbereitet werden, indem man sich alternative Verhaltensweisen zum Rauchen überlegt und gerade in den ersten Wochen Nikotinersatzpräparate nutzt, um die körperliche Abhängigkeit leichter überwinden zu können. Der richtige Umgang mit Rückfällen ist in den Entwöhnungsgesprächen ebenfalls Thema.“ Und auch die Vorbeugung steht in der Thoraxklinik ganz oben auf der Agenda: Mit der Kampagne „ohnekippe“ werden seit über 20 Jahren junge Menschen in ihren Schulen über Risiken und Folgen des Rauchens und Vapens aufgeklärt – mittlerweile deutschlandweit als interaktive Live-Online-Klassenzimmershow. Als Leiterin dieses wichtigen Projekts freut sich Claudia Bauer-Kemény über das positive Feedback: „Die Schüler und Lehrer sind gleichermaßen begeistert. Nicht selten stellen Präventionsmaßnahmen für Heranwachsende ein langweiliges und unnötiges Thema dar. Daher setzen wir unter anderem auf Gamification-Elemente, Serious Games und Hybridspiele, um so auch spielerisch über die Gefahren des Konsums von Tabak, E-Zigaretten und Cannabis aufzuklären.“

thoraxklinik-heidelberg.de

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