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„Erschreckend, wie viele ehemals Infizierte noch Beschwerden haben“

„Erschreckend, wie viele ehemals Infizierte noch Beschwerden haben“

Studienleiter Prof. Winfried Kern findet es erschreckend, wie viele ehemals Infizierte nach zwei Jahren noch unter Einschränkungen leiden. Foto: © Universitätsklinikum Freiburg
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Erschöpfungszustände, Gedächtnislücken, eine allgemeine Belastungsintoleranz und erhebliche Einschränkungen in der Lebensqualität: Etwa sechs bis 15 Prozent sämtlicher Covid-Genesenen leiden hierzulande auch im Anschluss noch unter gesundheitlichen Problemen. Im Rahmen einer groß angelegten Langzeitstudie der Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm haben Forschende ehemals Infizierte nachuntersucht. Das Ergebnis: Rund zwei Drittel der am Post Covid-Syndrom leidenden Patienten haben sich lange nach ihrer Erkrankung kaum erholt.  

Auch zwei Jahre nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 klagen viele Betroffene weiterhin über bleibende Schäden, die sie erheblich in ihrem Alltag belasten. Wenn Symptome wie Husten, Kurzatmigkeit und eine generelle Erschöpfung nach einer Corona-Erkrankung noch lange bestehen bleiben, ist von Long (bis vier Wochen nach einer Ansteckung) oder Post Covid (zwölf Wochen oder länger) die Rede. Die Symptome sind dabei äußerst vielfältig und können individuell ganz unterschiedlich auftreten. Häufig zu beobachten sind etwa eine verminderte Leistungsfähigkeit und dauerhafte Erschöpfungsgefühle (Fatigue), Muskel-, Glieder- und Kopfschmerzen, Probleme beim Riechen und Schmecken sowie ein trockener Husten. Auch klagen Betroffene über Stimmungsschwankungen und depressive Phasen. Ein weiteres Phänomen ist der sogenannte „Brain Fog“, da das Coronavirus auch das Gehirn im Nachgang beeinträchtigen kann. Nicht wenige Genesene sprechen hier von Konzentrationsproblemen im Alltag sowie von Störungen des Kurzzeitgedächtnisses. „Es ist erschreckend, wie viele ehemals Infizierte nach zwei Jahren noch Beschwerden und Einschränkungen haben“, sagt Prof. Dr. Winfried Kern von der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Freiburg. Zu dieser Erkenntnis ist man mittels einer groß angelegten, baden-württembergischen Langzeitstudie über das Leiden nach einer Corona-Infektion gelangt. Für die sogenannte EPILOC-Studie (Epidemiologie von Long Covid) haben Forschende der Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm mehr als 1.500 ehemals Infizierte im Alter von 18 bis 65 Jahren nachuntersucht und festgestellt: Zwei Drittel der Patienten, die Symptome eines Post Covid-Syndroms aufzeigen, leiden auch im zweiten Jahr ihrer Erkrankung noch an den Folgen.

Mit Blick auf diese Erhebung macht der Studienleiter Prof. Dr. Winfried Kern klar: „Eine systematische längere Nachbeobachtung und medizinische Nachuntersuchung sind erforderlich, um Faktoren für Besserung beziehungsweise Nichterholung des Post Covid-Syndroms und relevanter pathophysiologischer Pfade genauer zu identifizieren.“ Nur so ließen sich dem Experten zufolge therapeutisch wirksame Interventionsansätze finden und entwickeln. Die für EPILOC Befragten Patienten schilderten, dass sie weiterhin in ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität und ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt seien. Dies äußerte sich im Vergleich zu Kontrollpersonen etwa in verschlechterten funktionellen Parametern – hier sind zum Beispiel die Handgreifkraft, der maximale Sauerstoffverbrauch bei Belastung und die Atemeffizienz zu nennen. Hinzu kamen Ergebnisse aus neurokognitiven Testreihen. Trotz dieser objektiven Anzeichen von verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit und kognitiven Defiziten zeigten beinahe alle Laboruntersuchungen der klinischen Routine keine pathologischen Befunde. Dies sei laut der Autoren der Studie ein weiteres wichtiges Ergebnis – so heißt es: Eine fortbestehende Virusinfektion oder Reaktivierung des Ebstein-Barr-Virus, eine Nebenniereninsuffizienz oder Störungen der Blutgerinnung, wie oft in anderen Studien beschrieben, zeigten die Laborergebnisse nicht. Solche Zusammenhänge konnten auch durch die hohe Zahl der Teilnehmenden und die Berücksichtigung möglicher Störfaktoren wie Übergewicht oder Rauchen beim Vergleich verschiedener Gruppen klarer ausgeschlossen werden.

Körperliche Belastung vermeiden

Auch in welchem Maße die Folgen durch Long oder Post Covid auftreten, kann individuell sehr unterschiedlich sein. Es sind Fälle von Betroffenen bekannt, die einen ganzen Symptomkomplex entwickelt haben, ähnlich dem Krankheitsbild des chronischen Erschöpfungssyndroms (ME/CFS). So ist es auch schwer vorhersehbar, wie lange Patienten mit den Beschwerden zu kämpfen haben, und ob diese überhaupt wieder gänzlich abklingen. Ärzte warnen Genesene grundsätzlich vor einer zu frühen Belastung nach überstandener Corona-Infektion. Für die wichtige Phase des Auskurierens existiert eine Faustregel: Während der Infektion und auch noch zwei Wochen nach Rückgang der Symptome gilt es körperliche Anstrengungen zu vermeiden. Erst danach langsam steigern; falls möglich sechs bis acht Wochen bei Arbeit und Sport kürzertreten. Denn auch das Herz kann während und nach einer Infektion in Mitleidenschaft gezogen werden. So berichten Patienten nach einer überstanden Corona-Erkrankung zeitweise von Herzstolpern, zusätzlichen Herzschlägen und einer daraus resultierenden verminderten Leistungsfähigkeit. Auch Menschen mit nur leichten Covid-Verläufen äußern mitunter Herzrasen oder Brustschmerzen. Für eine fundierte medizinische Beurteilung solcher und weiterer Leiden, so weiß man am Universitätsklinikum Freiburg, sind Belastungstests im Bereich Herz-Lunge, Muskel- und Nervensystem erforderlich. Die aktuelle Phase der dortigen EPILOC-Studie wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg mit 2,3 Millionen Euro gefördert. Die rund 1.500 Teilnehmenden stammen aus einer Gruppe von mehr als 11.000 Erwachsenen aus ganz Baden-Württemberg, die bereits in einer ersten Studie in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern sechs bis zwölf Monate nach der Indexinfektion zu ihren Symptomen befragt worden waren. Aktuell werten die beteiligten Wissenschaftler weitere Daten aus; für die Analyse der zahlreichen Bioproben der Studie kommt eine erweiterte Methodik zum Einsatz. Ziel ist es, dringend benötigte Erkenntnisse zur verbesserten Versorgung von Personen mit Post Covid zu gewinnen.

Individuelle Behandlung ist notwendig

Bekannt ist, dass eher Frauen von Long Covid betroffen sind. Ebenso konnte festgestellt werden, dass sechs bis 15 Prozent sämtlicher Covid-Genesenen auch später noch gesundheitlichen Einschränkungen ausgesetzt sind. Der EPILOC-Erstautor Dr. Raphael Peter vom Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie der Universität Ulm bemerkt: „Die Diskrepanz zwischen den funktionellen Testergebnissen, dem subjektiven Leiden der Patienten und den vielen unauffälligen Routine-Laborparametern legen nahe, dass wir in einer anderen Richtung nach den pathophysiologischen Ursachen suchen müssen.“ Vor allem die neurometabolischen und neuroinflammatorischen Störungen, die Rolle des Skelettmuskelstoffwechsels und dysfunktionale Atmung sollten daher laut Peter vermehrt in den Fokus zukünftiger Forschung rücken.

Bei der Behandlung von Long Covid gilt es bislang, individuell und von Fall zu Fall vorzugehen. Je nach Schwere der Symptome können Logopädie (zum Beispiel bei Sprach- und Schluckstörungen) oder Ergotherapie (bei Gefühlsstörungen in den Armen und Beinen) zum Einsatz kommen. Physiotherapeutische Maßnahmen helfen zudem dabei, wieder Kraft und Kondition aufzubauen. Zur positiven Beeinflussung des Allgemeinzustandes bietet sich zudem eine immunstärkende Ernährung an, basierend auf einer abwechslungsreichen Kost mit ausreichend frischem Gemüse und Kräutern. Eigens zur Behandlung von Long Covid zugelassene Medikamente existieren bislang nicht – zum Herunterfahren der überschießenden Immunreaktion verordnen Fachärzte bei Lungenbeschwerden teils Kortisonspray. Neben diesem Einsatz von Inhalatoren bietet sich das Erlernen von Atemtechniken an; auch das sogenannte Pacing erscheint vielen Betroffenen hilfreich. Dabei geht es darum, sich selbst im Alltag das passende Tempo vorzugeben, eigene Energiereserven zu erkennen und so einer Überlastung vorzubeugen. Therapieansätze wie diese sollten jederzeit flexibel mit notwendigen Ruhephasen kombiniert werden, um so eine Erschöpfung zu vermeiden. Klar ist: Ein Gleichgewicht zwischen Be- und Entlastung ist für Long Covid-Patienten das A und O.RT•

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