
Die weltweit zunehmende Zahl von Lungenerkrankungen sorgt dafür, dass sich auch entsprechende Diagnosen als immer komplexer erweisen. Das Institut für Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen hat auf diese Entwicklung reagiert und Mitte 2024 ein Referenzzentrum für Lungenpathologie gegründet. Neben einer qualitativ hochwertigen Zweitbefundung bei komplizierten oder schwer einzuordnenden Fällen setzt man in dem neuen Zentrum zudem auf internationale Netzwerkarbeit und die Weitergabe von Expertenwissen.
Die Lunge ist ein faszinierendes Organ: Zusammen mit dem Herzen und den großen Blutgefäßen liegt sie in unserer Brusthöhle und wird aus zwei Lungenflügeln gebildet, unterteilt in Lungenlappen, die wiederum aus mehreren Lungensegmenten bestehen. Wenn wir in Ruhephasen zwischen 10- und 15-mal pro Minute ein- und ausatmen, strömen rund 6 bis 9 Liter Luft in die Lunge. So sorgt die Lunge als zentrales Atemorgan dafür, dass lebenswichtiger Sauerstoff ins Blut gelangt und trägt so wesentlich zu unserer körperlichen Leistungsfähigkeit bei. Gleichzeitig gilt die Lunge aber auch als äußerst fragil und verletzlich, was sich nicht zuletzt in der zunehmenden Zahl ihrer Erkrankungen äußert. Bei Leiden wie Asthma, COPD, Lungenembolien oder -krebs sind weltweit besorgniserregende Anstiege zu verzeichnen. Diese Entwicklung hat man auch an der Universitätsklinik der RWTH Aachen im Blick: Mit über 20 Jahren Erfahrung in der Diagnostik und wissenschaftlichen Analyse von neoplastischen und nicht-neoplastischen Lungenerkrankungen bietet dort nun ein Referenzzentrum für Lungenpathologie Unterstützung bei der Diagnostik thorakaler Erkrankungen an.
Unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Danny Jonigk (Direktor des Instituts für Pathologie) und Dr. med. Florian Länger (Leitender Oberarzt) soll das neue Zentrum zur Sicherstellung und Verbesserung der histopathologischen und molekularbiologischen Diagnostik in einem komplexen Erkrankungsumfeld beitragen. „Das Besondere an der Lunge ist, dass sie im Verborgenen wirkt“, skizziert Dr. Florian Länger. „Sie bildet eines der wichtigen Organe ab, die zwischen dem Innen und Außen trennen – zusammengenommen ergeben alle Lungenbläschen eine Oberfläche von rund 100 Quadratmetern. Vor diesem Hintergrund sprechen wir daher nicht nur von ihrer Aufgabe des Gasaustausches, sondern auch von weiteren wichtigen Funktionen wie etwa der Regulation des Kreislaufs.“ Die Arbeit des Atmungsorgans, so der Mediziner, werde von uns Menschen als komplett selbstverständlich empfunden. Erst wenn es zu Störungen komme, rücke sie in den Fokus. Dr. Florian Länger: „Fällt dem Betroffenen eine Einschränkung auf – beispielsweise in Form von Atemnot beim Treppensteigen – können tatsächlich bereits größere Anteile der Lunge so geschädigt sein, dass sie nicht wiederherzustellen sind.“ Da allerdings das Herz eine enge Funktionseinheit mit der Lunge bildet, könne das Symptom der Atemnot auch bei Störungen der Herzfunktion – ohne eine bereits eingetretene Schädigung der Lunge – auftreten. Dieser Umstand zeigt sehr deutlich, wie diffizil sich die Diagnostik gestalten kann.

„Die Lunge ist ein Grenzgänger“
Dass sich die Beeinträchtigungen der Lunge auch bei uns auf dem Vormarsch befinden, zeigt eine Bilanz der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Demnach stirbt hierzulande alle vier Minuten ein Mensch an den Folgen einer Atemwegserkrankung – Tendenz steigend. So nahm die Anzahl der Asthma-Diagnosen zuletzt um 17 Prozent zu, die der Lungenkrebserkrankungen um 33 Prozent. Im Falle der Lungenfibrose konnte ein Anstieg um 39 Prozent ausgemacht werden, bei Lungenembolien sind es gar 71 Prozent. Alarmierende Zahlen, die Dr. Florian Länger wie folgt einordnet: „Wie unsere Haut oder der Darm ist auch die Lunge ein Grenzgänger. Sie muss in der Lage sein, auf äußere Reize wie Infekte und Fremdstoffe adäquat zu reagieren; gleichzeitig darf diese Reaktion aber nicht überschießend ausfallen, da so Krankheitsbilder wie Asthma entstehen können. Ein sehr schwieriger Balanceakt, dem das in der Lunge lokalisierte Immunsystem nachkommen muss.“ Dass eben dieser Balanceakt immer wieder auch scheitern kann, hat laut Dr. Länger viele Gründe. So würden vor allem äußere Belastungen – etwa durch inhalative Noxen wie Feinstaub, Dämpfe, Gase und Rauche – eine wichtige Rolle spielen und in der Lunge massive Spuren hinterlassen.
Während sich also die Lungenerkrankungen rund um den Globus häufen und deren Einteilung sich immer vielschichtiger darstellt, fehlt es gleichzeitig vor allem in kleineren Zentren an erfahrenen Thorax- und Lungenpathologen. Am Standort Aachen möchte man auf diese Problematik reagieren, ist im dortigen Institut für Pathologie doch die notwendige Infrastruktur ohnehin gegeben. Nun gelte es diese Aktivität in noch strukturiertere Bahnen zu lenken, wie der Direktor des Instituts, Prof. Danny Jonigk, verdeutlicht: „Die Konstruktion der Lunge bewegt sich in einem Grenzbereich zwischen Luft und Flüssigkeit, mit spezialisiertem Interstitium auf der einen Seite, und großen Volumina auf der anderen. Gleichzeitig fußt sie auf einer äußerst zarten Architektur. In diesem Spannungsfeld der Mechanik ist es Aufgabe der Lungen- und Pneumopathologie, der Erkrankung ihren Sitz im Organ zukommen zu lassen.“ Im Zusammenspiel mit den klinischen Kollegen gelte es hier laut Jonigk, sowohl neoplastischen als auch nicht-neoplastischen Erkrankungen mit spezifischen und individualisierten Therapien entgegenzutreten. Dazu brauche es neben der technischen Ausstattung auch eine breite diagnostisch-fundierte Expertise – spezifiziertes Fachwissen also, das dank der verantwortlichen Pathologen im neuen Referenzzentrum der Uniklinik RWTH Aachen vorhanden ist.
Enge Zusammenarbeit mit klinischen Kollegen

Neben der Diagnostik und wissenschaftlichen Analyse von neoplastischen und nicht-neoplastischen Lungenerkrankungen bietet das Aachener Referenzzentrum für Lungenpathologie überregionale Unterstützung bei der morphologischen und molekularen Diagnostik thorakaler Erkrankungen an. Zum umfangreichen Aufgaben- und Angebotsspektrum zählen unter anderem die Zweitbefundung komplexer Fälle, die Etablierung und stetige Weiterentwicklung molekularer Testverfahren für Diagnostik, Prognose und Prädiktion sowie regelmäßige virtuelle Sprechstunden und Teilnahmen an interdisziplinären Boards. Prof. Danny Jonigk berichtet: „Unsere Aufgabe ist es, bei einer nicht in Gänze klaren Lungenerkrankung die Symptome mit den Veränderungen im Organ in Deckung zu bringen. Das ist letztlich der ureigene Gedanke unseres Fachs der Pathologie – gerade bei einem solch umfassenden Aufbau wie dem der Lunge stellt es sich als sehr anspruchsvoll dar, die Erkrankung des Organs auf jene der Einzelzelle zurückzuführen.“ So werde der Pathologe schließlich zum Lotsen der Therapie. Daran anschließend ergänzt Jonigks Kollege Dr. Florian Länger die Möglichkeit, sich den verschiedenen Formen eines Lungenleidens aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu nähern: „Neben der offensichtlichsten Vorgehensweise, der körperlichen Untersuchung durch den Arzt, ist mit der Bildgebung die nächste Stufe der Diagnostik zu nennen. Heutzutage kommt dabei meist die hochauflösende Computertomographie zum Einsatz. Wann immer diese etwas zutage bringt, das der Radiologe nicht eindeutig zuordnen kann – etwa beim Verdacht auf einen Tumor – kommt die Pathologie ins Spiel.“ So sei es die Kombination aus spezialisierter diagnostischer Expertise und der technischen Ausstattung eines Referenzzentrums, die zur korrekten Beurteilung der Art einer Erkrankung, ihrer Aggressivität sowie ihrer Ausdehnung am Gewebe beitrage. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die nur in enger Zusammenarbeit mit den klinischen Kollegen funktioniert und somit ein wichtiges Instrument zur Qualitätssicherung der Krankenversorgung darstellt.
Handwerklicher Aspekt der Pathologie
Bei einem Befund in der Lunge, der klinisch und radiologisch nicht sicher zu bestimmen ist, wird in der Regel die Gewebeprobe zur endgültigen Einordnung herangezogen. Diese wird nach ihrer Entnahme in der Pathologie nach streng standardisierten Verfahren aufbereitet und anschließend als gefärbtes Schnittpräparat am Mikroskop befundet. Hierbei geht die Entwicklung zu minimalinvasiven Biopsien: Der Pathologe bekommt somit immer weniger Gewebe zur Verfügung gestellt, an dem er aber eine zusehends differenzierte Diagnostik durchzuführen hat. Aus diesem Grunde braucht es heute mitunter hoch entwickelte Techniken, die weit über das konventionelle Verfahren der Schnittpräparatefärbung hinausgehen. In der Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen wurden die Arbeitsabläufe zuletzt weitgehend digitalisiert, sodass die Befundung nicht mehr durch das Mikroskop, sondern mittels eingescannter Präparate am Monitor erfolgt. Diese Vorgehensweise erleichtert zum einen den Austausch mit den Kollegen vor Ort, aber auch die Kommunikation über Instituts- und Ländergrenzen hinaus. Zusätzlich ist die Digitalisierung des Schnittpräparats eine Voraussetzung für die Nutzung von Tools, die den Pathologen in der Diagnostik am Bildschirm unterstützen – etwa bei auffälligen Veränderungen in bestimmten Arealen der Lunge. Trotz solcherlei Hilfestellungen und moderner KI-Lösungen, die ohne Frage zu verbesserten Arbeitsabläufen beitragen, dürfe ein wichtiger Aspekt der Pathologie laut Prof. Danny Jonigk jedoch nicht in den Hintergrund geraten: „Eine gewisse Handwerklichkeit muss erhalten bleiben. Die spezifische Aufarbeitung eines Tumorresektats der Lunge verläuft beispielsweise anders als die eines Brust- oder Pankreasresektats. Da braucht es auch weiterhin den Menschen.“
Für die beiden Institutionen Universitätsklinik und RWTH Aachen University bedeutet die Gründung des Referenzzentrums für Lungenpathologie eine echte Stärkung. Neben dem Ziel, Expertenwissen gezielt einzusetzen und in die Patientenversorgung einzubringen, soll im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsveranstaltungen auch Wissen an pathologische und klinische Kollegen weitergegeben werden. Dabei setzt man in der Kaiserstadt auf ein breites internationales Netzwerk, bestehend aus weiteren Universitätskliniken, spezialisierten Versorgungszentren, Fachgesellschaften und Forschungsverbünden. Wichtige Verknüpfungen mit Blick auf eine immer älter werdende Gesellschaft, den markanten Anstieg von Lungenerkrankungen sowie die dringliche Suche nach gutem Pathologen-Nachwuchs. „Unsere Aufgabe“, da sind sich der erfahrene Pathologe Prof. Danny Jonigk und sein Leitender Oberarzt Dr. Florian Länger einig, „ist es nicht nur, gute Diagnostik zu erbringen, sondern auch die nächste Generation zu schulen und intensiv Weiterbildungsarbeit zu leisten.“
