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„Die Überlebenschancen sind deutlich gestiegen“

„Die Überlebenschancen sind deutlich gestiegen“

Den Start ins Leben gemeinsam meistern: Neugeborene mit Herzfehler benötigen eine umgehende Versorgung. Foto: © Ananass - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Säuglinge, die mit einem sogenannten Ein-Kammer-Herz zur Welt kommen, müssen unmittelbar nach der Entbindung mit Medikamenten am Leben gehalten werden. Die schwerwiegendste Variante dieser Erkrankung ist das hypoplastische Links- oder Rechtsherzsyndrom, bei der schon wenige Tage nach der Geburt eine Operation notwendig ist. Doch welche Auswirkungen hat dieser komplizierte Eingriff auf das spätere Leben der Patienten? Am Deutschen Herzzentrum München (DHM) erhofft man sich im Rahmen aktueller Forschungen mehr Wissen über die Langzeitfolgen. 

Die Funktionen und Aufgaben des menschlichen Herzens sind in der Regel klar verteilt: Ausgestattet mit zwei linken und zwei rechten Herzhöhlen besteht jede Herzhälfte aus einem Vorhof und einer Hauptkammer, diese wiederum verfügen jeweils über Blut zuführende und abführende Gefäße. Während die meist kräftigere linke Kammer den großen Körperkreislauf versorgt, pumpt die rechte Kammer das Blut durch die Lunge, wo es mit Sauerstoff angereichert wird. Von den rund 8.700 Kindern, die in Deutschland jährlich mit einem Herzfehler geboren werden, erreichen heute mehr als 95 Prozent das Erwachsenenalter. Als eine der risikoreichsten Erkrankungen ist hier das hypoplastische Links- oder Rechtsherzsyndrom zu nennen, bei der das betroffene Kind mit einer unterentwickelten oder komplett fehlenden Kammer zur Welt kommt. Gab es für Neugeborene mit einem solch komplexen Herzfehler noch vor wenigen Jahrzehnten keine Perspektiven, ist das Aufwachsen dieser Kinder heute möglich. Dr. med. Thibault Schaeffer von der Klinik für Chirurgie angeborener Herzfehler und Kinderherzchirurgie am Deutschen Herzzentrum München zeichnet diese Entwicklung nach: „Bis in die 1970er-Jahre, als eine mehrstufige Operationstechnik entwickelt wurde, waren diese Ein-Kammer-Herzen für ein Viertel der Frühtodesfälle verantwortlich“, so der Herzchirurg. „Die Überlebenschancen sind aber deutlich gestiegen. Mit Hilfe der sogenannten Fontan-Operation, die aus zwei bis drei chirurgischen Eingriffen besteht, lässt sich die Herz-Kreislauf-Funktion erhalten.“ In den letzten 20 Jahren habe sich der chirurgische Eingriff zum Standard entwickelt, sodass mittlerweile von einer 80-prozentigen Überlebenschance bis zum 20. Lebensjahr gesprochen werden könne.

Bei der Fontan-Zirkulation pumpt die vorhandene Herzkammer das sauerstoffreiche arterielle Blut aktiv durch den Körperkreislauf. Sie ermöglicht das Heranwachsen des Kindes mit nur einer Herzkammer. Viele der Patienten, so weiß man heute, blicken nach dem Eingriff einer fast normalen Zukunft entgegen. Da die vollständige Heilung des Ein-Kammer-Herzens jedoch nicht möglich ist, bleibt auch immer die Frage nach den Ursachen für diese Erkrankung. „Dazu wird sehr intensiv geforscht, doch leider sind bislang nur wenige Gründe für die Entstehung komplexer angeborener Herzfehler bekannt“, berichtet Thibault Schaeffer. „Wir wissen, dass das Risiko für einen angeborenen Herzfehler bei spätgebärenden Müttern steigt. Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle – ist die Mutter bereits am Herzen erkrankt, erhöht das die Wahrscheinlichkeit einer Weitergabe. Es kommen aber auch immer wieder erkrankte Kinder in Familien ohne entsprechender Vorgeschichte zur Welt.“ Toxische Substanzen wie Alkohol, aber auch die frühere Einnahme heute verbotener Medikamente, seien laut dem Experten hier ebenfalls als Faktoren zu nennen.

Erste OP unmittelbar nach der Geburt

Die Fontan-Operation, die über drei Schritte in den ersten drei Lebensjahren des Kindes erfolgt, soll die einzelne Herzkammer in ihrer Pumpfunktion entlasten. Diese versorgt dabei nur den größeren Körperkreislauf, während die Durchblutung der Lunge langfristig passiv ohne direkte Pumpfunktion seitens des Herzens gewährleistet wird. Lungen- und Körperkreislauf werden somit voneinander getrennt. Der Eingriff ist äußerst komplex und bedeutet für die noch sehr kleinen Patienten eine hohe Belastung. Der erste OP-Schritt steht unmittelbar nach der Geburt an und stellt auch für die Mediziner eine große Herausforderung dar. Thibault Schaeffer: „Die Neugeborenenchirurgie ist aufgrund des fragilen Gewebes und des leichten Geburtsgewichts immer heikel. Eine entscheidende Rolle für die Überlebensprognose spielt aber die Frage, ob es neben dem Herzen noch weitere Anomalien gibt. Auch die Frühgeburt ist ein bemerkenswerter Risikofaktor.“ Hinzu käme die Tatsache, dass in den ersten Tagen des Lebens die Organe noch nicht vollständig entwickelt seien: „Ist die Gerinnung nicht reif, kann der Patient verbluten. Auch besteht das Risiko eines Darminfarkts oder das Gehirn kann einbluten. Eine andere Herausforderung für die Intensivmediziner ist es in den ersten Tagen nach der Operation, den Ausgleich zwischen dem kleinen und dem großen Kreislauf zu halten, da diese nicht seriell, sondern parallel funktionieren.“ Schon ein bis drei Monate nach der Geburt sei solch eine Operation einfacher, erklärt der Facharzt. In der Regel müsse der Eingriff aber eben in den ersten zwei Lebenswochen stattfinden; der zweite erfolgt mit vier bis sechs Monaten und der dritte im Alter von zwei bis drei Jahren. Auch wenn sich viele der kleinen Patienten auf eine nahezu normale Zukunft freuen dürfen: Zwei funktionierende Herzkammern sind auch durch die beste Fontan-Zirkulation nicht zu ersetzen. Eine Operation verbessert und lindert die kritische Situation, man spricht letztlich von einer Palliation. Langfristig, so ist heute bekannt, sind Probleme mit dem Herzen und anderen Organen möglich.

„Auch wenn sich Betroffene vielleicht nicht immer so fühlen, sprechen wir bei Ein-Kammer-Herzen von einer chronischen Erkrankung“, so Thibault Schaeffer. „Es können Herz-Rhythmus-Störungen auftreten, die den Alltag erschweren. Im späteren Leben auch Herzschwächen, verbunden mit Atemnot und einer Leistungsminderung. Andere Organe wie Leber und Nieren können ebenfalls betroffen sein.“ Sorge bereitet zudem die Eiweiß-Verlust-Krankheit, die als eine Langzeitfolge der Kreislauftrennung nach dem Fontan-Prinzip auftreten kann. Dabei handelt es sich um eine Manifestation der Fontan-assoziierten Lympherkrankung; es kann zur Bildung von Ergüssen in unterschiedlichen Körperteilen (Bauch, Lunge, eventuell Herz) kommen. Umso wichtiger also ist es, noch mehr über die Entwicklung der Patienten mit Fontan-Herz bis ins Erwachsenenalter zu erfahren.


Organspende rettet Leben

Komplikationen wie Herzschwächen oder Lympherkrankungen können nach einer Fontan-Operation bereits im Kindesalter (1 bis 3 Jahre) auftreten und sind kurzfristig immer tödlich. Da weder Medikamente noch Operationen helfen, bildet in diesem Stadium eine Herztransplantation die einzige Überlebenschance für die Patienten ab. Aufgrund des Organmangels in Deutschland wird diese bei Fontan-Patienten jedoch äußerst selten durchgeführt. In Ländern mit einer höheren Spendenbereitschaft bzw. Organverfügbarkeit sind die Aussichten für betroffene Kinder besser.


 

Lebensqualität der Patienten dauerhaft verbessern

Eine Studie, die Thibault Schaeffer derzeit am DHM durchführt, soll Erkenntnisse über die physische und psychische Lebensqualität von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH) nach einer Fontan- oder Fontan-ähnlichen Operation liefern. Die von der Deutschen Herzstiftung mit 10.000 Euro geförderte Erhebung beleuchtet dabei auch die soziale Integration der Patienten. „Da werden ganz unterschiedliche Bereiche des subjektiven Gesundheitszustands abgefragt“, gewährt der Forschungsleiter einen Einblick. „Zum einen die körperlichen Aspekte – wie mobil ist der Patient, ist er aktiv, hat er Schmerzen? Die psychische Verfassung spielt eine ebenso wichtige Rolle: Leidet er an Depressionen oder unter Ängsten?“ Und auch diese Fragen geben Aufschluss über die Zufriedenheit eines Patienten: Geht er einem Beruf nach, hat er Kinder, besitzt er einen Führerschein? Mit den Ergebnissen der Umfrage auf Basis einer Online-Plattform soll es künftig gelingen, die Lebensqualität kleiner und erwachsener Patienten dauerhaft zu verbessern. Doch was sind das für Sorgen und Hindernisse, denen Menschen, die im Kleinkindalter aufgrund eines Herzfehlers operiert werden mussten, heute im Alltag begegnen? „Das hängt vor allem von ihren Symptomen ab“, so Thibault Schaeffer. „Da sind zum einen die Menschen mit nur leichten Begleiterscheinungen, die von einem nahezu unbeschwerten Leben berichten. Auf der anderen Seite aber sehen wir die Patienten, die ihre Erkrankung täglich spüren und sich Gedanken um die Lebensplanung machen.“

Die Diagnose des hypoplastischen Links- oder Rechtsherzsyndroms ist bereits durch eine vorgeburtliche Ultraschalluntersuchung möglich. Ein wichtiger Punkt: Im Mutterleib kann sich der Fötus weitestgehend normal entwickeln. Erst nach der Geburt sind die Perspektiven ungewiss. Was muss da eine frühzeitige Aufklärung der werdenden Eltern leisten, um sämtliche Eventualitäten und möglichen Zukunftsszenarien realistisch darzustellen? „Ein ganzes Team aus Kardiologen, Herzchirurgen und Sozialarbeitern begleitet die Familien, um ihnen beratend zur Seite zu stehen“, schildert Thibault Schaeffer die anspruchsvolle Situation. „Das betrifft natürlich auch die Entscheidung, ob es zu einer vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft kommen soll oder ob der Weg der Palliation eingeschlagen wird. Eine schwierige, aber eben individuelle Entscheidung. Umso wichtiger also, dass die Familien detailliert über die Abläufe der mehrstufigen Operation aufgeklärt werden.“ Ist diese überstanden, warten auf die Patienten weitere Hürden im Leben – als Kinder, Jugendliche und im Erwachsenenalter. Da hilft der Austausch mit Menschen, die ähnliche Herausforderungen zu bewältigen haben: Die Klinik für Chirurgie angeborener Herzfehler und Kinderherzchirurgie am DHM kooperiert hierzu mit der Deutschen Kinderherzstiftung, um Kontakte zu anderen Betroffenen und Selbsthilfegruppen zu vermitteln. Und auch die Forschungsergebnisse von Thibault Schaeffer und seinem Team sollen in die künftige Beratungsarbeit mit einfließen – damit Familien nicht mit ihren Fragen und Unsicherheiten alleingelassen werden und der Start ins Leben trotz aller Widrigkeiten bestmöglich gelingt.

 


Die Deutsche Herzstiftung fördert das Forschungsvorhaben „Long-term patient-reported outcomes in adults after Fontan or Fontan-like procedure“ von Dr. med. Thibault Schaeffer im Rahmen der Sonderforschungsförderung „Angeborene Herzfehler“. Insgesamt neun Projekte aus dem gesamten Bundesgebiet erhielten Fördermittel. Prof. Dr. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, betont: „Noch immer gibt es bei Patienten mit Fontan-Herz viele Fragen, die es zu beantworten gilt, um die Lebensqualität dieser Menschen dauerhaft zu verbessern. Ein wichtiger Baustein sind hierbei die Untersuchungen von Dr. Schaeffer und seinem Team.“

deutsches-herzzentrum-muenchen.de

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