In ihrem Buch „Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens” erzählt die Journalistin Nathalie Stüben ihre Geschichte: Vom Versuch, zu ignorieren, dass der Alkohol ihr Leben bestimmte. Vom Trugschluss, Erfolg im Job und eine glänzende Fassade könnten über eine Abhängigkeit hinwegtäuschen. Vom Verlust ihrer Begeisterungsfähigkeit. Mittlerweile lebt Nathalie Stüben seit rund sechs Jahren nüchtern – ohne Klinik, ambulante Therapie oder Anonyme Alkoholiker. Per Podcast und YouTube-Kanal sowie mit ihrem Programm „Die ersten 30 Tage ohne Alkohol” steht sie Betroffenen zur Seite. Ihre klare Botschaft: „Ein Leben ohne Alkohol bedeutet Freiheit.”
Die gesundheitlichen Folgen von Alkoholkonsum sowie alarmierende Statistiken sind bekannt – wieso lassen die Fakten dennoch einen großen Teil der Bevölkerung kalt?
Nathalie Stüben: Das ist eine gute Frage. Denn eigentlich reicht ja ein Blick ins Jahrbuch Sucht der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, um festzustellen, wie weit verbreitet dieses Problem ist. Wir neigen hierzulande aber zu der Annahme, es gebe Genusstrinker, dann lange nichts, und dann die körperlich Abhängigen, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Dahinter steckt eine immense gesellschaftliche Verdrängung. Ich betrachte es als meine Aufgabe, dafür zu sensibilisieren, dass es eben noch diesen riesengroßen Graubereich dazwischen gibt. Einen Graubereich, in dem die Grenzen zwischen Genuss, Gewohnheit, schlechter Gewohnheit, Missbrauch und Abhängigkeit verschwimmen.
In Ihrem Buch blicken Sie auf Ihre Kindheit zurück, in der Sie lernten: „Alkohol gehört zum Erwachsensein dazu.”
Meine Eltern haben auf eine sehr kultivierte, festliche Art getrunken. Da kamen die auf Hochglanz polierten Gläser auf den Tisch und es wurde eine schöne Flasche Wein zum Abendessen entkorkt. Es war nicht mal ein bewusster Prozess, dass ich mir sagte: „Alkohol gehört zum Erwachsensein dazu.” Aber er war halt immer dabei, eines der Accessoires, die für mich das Erwachsensein symbolisierten. Kinder lernen von ihren Vorbildern, und meine haben Alkohol getrunken. Übrigens nie in einem problematischen Maße. Aber ich habe dann später leider ein Problem entwickelt.
Weshalb war dieses "Bild mit Weinglas in der Hand" für Sie so positiv besetzt?
Weil ich es toll fand, erwachsen zu sein, das war mir unheimlich wichtig, ich konnte es nicht erwarten. Rückblickend weiß ich heute jedoch, dass der Alkohol mich genau davon abgehalten hat. Denn erst, seitdem ich nüchtern bin, fühle ich mich tatsächlich erwachsen: Ich weiß, was ich will und wofür ich stehe. Ich kenne meine Meinung und ich traue mich, sie auszusprechen. In all den Jahren mit Alkohol hingegen war ich zutiefst verunsichert.
An der Supermarktkasse finden sich hochprozentige Spirituosen gleich neben dem Süßigkeitenregal: Mitunter ein Grund, dass Alkohol gar nicht als Droge wahrgenommen wird?
Ja, zumal es sich dabei noch um kleine Mengen handelt. Das spiegelt die perfide Marketingstrategie der Alkoholindustrie wider, die ja rund 50 % ihrer Umsätze mit Menschen macht, die riskant, schädlich oder abhängig trinken. Gleichzeitig lautet der Tenor der entsprechenden Unternehmen: „Wir produzieren unsere Produkte nur für all jene, die verantwortungsvoll trinken.” Wäre das tatsächlich der Fall, würde ihnen aber die Hälfte der Einnahmen wegbrechen. Wer kauft sich denn eine kleine Wodkaflasche an der Kasse? Doch sicher nicht der Genusstrinker.
Wie verhält es sich mit Vorsätzen wie „Ich trinke nur noch am Wochenende” oder „Heute bleibe ich bei einem Glas Wein”?
Bei mir war es mit solchen Regeln wie beim Russischen Roulette, manchmal funktionierten sie, manchmal nicht. Irgendwann war ich an dem Punkt angelangt, an dem ich bemerkte: Ich kann mir die besten, kreativsten Trinkregeln auferlegen – langfristig lässt sich keine einzige davon einhalten. Diese ganzen Regeln haben nur dazu geführt, dass sich die Sucht verlängert hat und dass ich die eigentliche Lösung – nämlich den Alkohol komplett aus meinem Leben zu verbannen – nicht erkannt habe.
Sie schreiben, dass Sie psychisch abhängig waren: Wie hat sich das geäußert?
Das hat sich auf verschiedenen Ebenen geäußert. Die offensichtlichste war dieser Kontrollverlust: Dass ich nicht aufhören konnte zu trinken, sobald ich einmal angefangen hatte. Aber ich habe zum Beispiel auch meine Freizeit immer stärker am Alkohol ausgerichtet. Im Grunde war Trinken mein Hobby. Und alle Aktivitäten, bei denen man nicht trinkt, verloren mit der Zeit ihren Reiz. Ein Konzert- oder Theaterbesuch war nur dann interessant, wenn es in der Pause etwas zu trinken gab. Als diese Totalabstürze regelmäßiger wurden und ich bemerkte, dass ich mich immer häufiger zusammenreißen musste, damit mein Umfeld nichts mitbekommt, habe ich begonnen, Geschichten zu erfinden. Da war dann eben eine angebliche Betriebsfeier der Grund dafür, dass ich unter der Woche etwas getrunken hatte. Ich habe mich auch immer mehr von Freunden distanziert, die wenig oder gar keinen Alkohol tranken.
Sie haben aber eine Freundin explizit gefragt: „Denkst Du, ich habe ein Alkoholproblem?”
Ja, aber ich wusste schon auch genau, welche Freundin ich da fragte. Nämlich jene, von der ich rückblickend denke, dass sie ebenfalls so ihre Probleme mit dem Alkohol hatte. Natürlich gefiel mir ihre Antwort: „Alkoholproblem? Du? Niemals, Du hast doch Dein Leben im Griff und bist im Beruf erfolgreich!” Ich befand mich damals in einer Art Zwischenstadium und dachte: „Ich hätte so gerne, dass es mir mal endlich jemand sagt … aber eigentlich will ich es auch nicht hören.”
In Ihrem Buch ist Erfahrungsberichten anderer Betroffener zu entnehmen, dass auch Hausärzte vorgetragene Sorgen schon mal kleinreden.
Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen sind Ärzte ja ebenso Teil dieser Gesellschaft, die den Graubereich mitunter nicht auf dem Schirm hat. Studien zeigen außerdem, dass sieben bis acht Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland im Laufe ihres Lebens selbst von einer Substanzkonsumstörung betroffen sind. In 70 Prozent dieser Fälle handelt es sich dabei um Alkohol. Einer meiner ersten Programmteilnehmer, ein Hausarzt, hat mal so treffend gesagt: „Ich habe Menschen beraten, und war eigentlich selbst Patient.” Ein weiteres Problem: Die Wissenschaft richtet ihren Fokus auf den Extrembereich der Sucht. Das ist auch nachvollziehbar, da man Menschen in Kliniken besser erreichen und für Studien oder Umfragen motivieren kann. Aber das verzerrt das Bild in unseren Köpfen natürlich auch.
Im Juli 2016 erwachten Sie eines Tages „mit einem Höllenkater” und trafen daraufhin „die beste Entscheidung” Ihres Lebens – nämlich fortan nüchtern zu bleiben. Hatten Sie Angst?
Und wie! Riesengroße Angst. Aber nicht nur. Es ist ja enorm, wieviel der Mensch gleichzeitig fühlen kann. Ich war auch sehr erleichtert. Und es ging mir ohne Alkohol sehr schnell sehr viel besser – trotz aller Herausforderungen, die so ein Schritt mit sich bringt. Ich habe es unheimlich positiv erlebt, mit dem Trinken aufzuhören. Außerdem ist es beeindruckend, wie gut man sich durch die Abstinenz selbst kennenlernen kann.
Sie leben nun seit sechs Jahren ohne Alkohol: Was ist aus Ihrer im Buch geäußerten Befürchtung geworden, in dieser Gesellschaft fortan keinen Platz mehr finden zu können?
Heute weiß ich, dass es sich andersherum verhielt: Ich befand mich im Abseits, als ich noch trank. Anstatt am gesellschaftlichen Leben wirklich teilzunehmen, habe ich mich innerlich zurückgezogen, im Kopf ständig beschäftigt mit Alkohol. Ich wollte damals unbedingt einen Partner finden und eine Familie gründen. Gleichzeitig konnte ich mir aber nicht vorstellen, schwanger zu werden, also monatelang nichts zu trinken. Die Abstinenz machte das alles möglich. Ich lernte meinen heutigen Mann kennen und fand endlich das, was ich wollte: eine unaufgeregte Beziehung auf Augenhöhe. Mittlerweile bin ich Mutter von zwei Kindern, Unternehmerin, Autorin und so vieles mehr. Daran hätte ich damals im Traum nicht mehr gedacht. Aber ohne Alkohol bin ich mehr denn je Teil dieser Gesellschaft.
Die Programme
Die ersten 30 Tage ohne Alkohol
Nathalie Stüben nimmt Betroffene an die Hand und begleitet sie Tag für Tag, Schritt für Schritt. Mit ihrem fundierten, aufeinander abgestimmten Mix aus Theorie und Praxis zeigt sie, wie sich die ersten Wochen ohne Alkohol meistern lassen und gleichzeitig das Fundament für eine zufriedene Abstinenz gelegt werden kann. Hilfe zur Selbsthilfe – und jede Menge Motivation.
Abstinenz stabilisieren
Dieses Programm liefert Bausteine für eine stabile Abstinenz. Durch Nathalie Stübens Kombination aus Hintergrundwissen und praktischen Aufgaben können Teilnehmende sich besser kennenlernen und ein Gefühl dafür entwickeln, was sie brauchen und tun können, um dauerhaft nüchtern zu bleiben.