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Die Depression – ein fieser Lügner

Die Depression – ein fieser Lügner

Foto: © Mary Long - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

„Niemand interessiert sich für dich“, „Du bist nichts wert“ oder „Dir wird es nie wieder besser gehen“ – negative Glaubenssätze wie diese können Menschen, die an einer Depression leiden, noch stärker in die Abwärtsspirale der Erkrankung ziehen. Mit ihrem Buch „Sieben Lügen, die dir eine Depression erzählt“ möchte die Psychologin und erfolgreiche Instagramerin Dinah-Kristin Berger Betroffene dabei unterstützen, aus dieser verzerrten Wahrnehmung auszusteigen. Dabei beleuchtet sie auch die wichtige Seite der Angehörigen.   

In Ihrem Buch sowie auf Instagram verwenden Sie prägnante Texte und anschauliche Grafiken zum Thema „Depression“: Wie hilfreich kann solch eine achtsame Ansprache für betroffene Menschen sein?

Dinah-Kristin Berger: Das ist in erster Linie eine einfache und niederschwellige Form, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Viele Betroffene besitzen nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne; vielleicht fehlt es ihnen auch an der notwendigen Konzentration, um sich mit mehrseitigen Ratgebern und umfassender Fachliteratur auseinanderzusetzen. Meine kurzen Texte und einprägsamen Grafiken sollen Erkrankte sowie ihre Angehörigen dabei unterstützen, einen ersten Schritt zu gehen, sich Hilfe zu holen und sich mit anderen auszutauschen. Natürlich ist es immer auch ein schmaler Grat, wenn ich auf meinem Instagram-Kanal typische Symptome für eine Depression aufführe, besteht doch eine gewisse Gefahr für Selbstdiagnosen. Daher betone ich immer, dass diese ersten Anstöße keine Psychotherapie ersetzen.

Der Kanal trägt den Namen @erklaerungsnot: Weshalb gestaltet es sich für Erkrankte oftmals schwer, Außenstehenden die innere Gefühlswelt darzulegen?  

Wie alle psychischen Leiden handelt es sich auch bei der Depression um eine unsichtbare Erkrankung, die man einem Menschen nicht sofort ansieht. Das macht es für Betroffene oftmals so schwer, sich zu erklären. Hinzu kommt, dass jeder Mensch Merkmale wie Niedergeschlagenheit oder Traurigkeit auch aus der eigenen Wahrnehmung kennt. Da entstehen dann oftmals Missverständnisse: Es werden vielleicht Äußerungen wie „Du wirkst ja gar nicht depressiv“ oder Ratschläge à la „Du musst nur mal raus an die frische Luft“ getätigt. So können Erkrankte in diese Erklärungsnot geraten – es gelingt ihnen nicht, die eigene Erlebenswelt von jener gesunder Menschen abzugrenzen. Auch körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden oder Tinnitus sind im Zuge einer Depression nicht untypisch.  

In Ihrem Buch führen Sie sieben Lügen auf, die eine Depression erzählen kann: Lassen sich Beispiele für diese verzerrte Wahrnehmung nennen?

In meiner täglichen Arbeit als Psychotherapeutin sehe ich immer wieder, wie sehr die Depression in das Selbsterleben der Patientinnen und Patienten eingreift. Da manifestieren sich Überzeugungen wie „Ich bin ein Versager“ oder „Ich bin nichts wert“. Im Buch führe ich daher sieben Wahrnehmungen auf, die mir in meiner Praxis immer wieder begegnen. Verzerrte Glaubenssätze über die eigene Person, die eben nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Da existieren im Umfeld durchaus Menschen, die ihre Hilfe und Unterstützung anbieten – Betroffene nehmen dies jedoch oftmals nicht wahr, da sie sich selbst als eine Belastung sehen. Auch die hoffnungslose Aussage „Mir wird es nie wieder besser gehen“ ist solch eine Lüge, sind heutzutage doch viele Depressionen gut behandelbar.

„Die Depression“, so schreiben Sie, „tritt als fieser Kritiker auf.“ Ein Teufelskreis entsteht …

In der Psychologie sprechen wir hier von einer „Depressionsspirale“, die sich immer weiter nach unten dreht. Das beginnt zum Beispiel mit Niedergeschlagenheit und Selbstabwertung, die mitunter zu Schamgefühlen führen können, was wiederum bewirkt, dass sich Betroffene keine Hilfe suchen – ob nun professionelle Unterstützung oder im eigenen Umfeld. Ein weiterer Schritt kann dann der soziale Rückzug sein, sodass Betroffene immer seltener die eigenen vier Wände verlassen. Es stellt sich eine große Antriebslosigkeit ein, man verharrt in Grübeleien. Somit fallen auch positive Erlebnisse wie Zufriedenheit, Stolz oder die Verbundenheit mit anderen Menschen weg. Auf diese Weise geraten an einer Depression erkrankte Personen immer tiefer in diese Abwärtsspirale hinein. Umso wichtiger ist daher der Versuch, schrittweise wieder am Leben teilzunehmen, um so angenehme Momente zu verspüren.

Wer sich aus seinen sozialen Beziehungen zurückzieht, gerät ebenfalls in Erklärungsnot. Wie können es Betroffene dann schaffen, ihrem Umfeld das eigene Erleben zu verdeutlichen?

Das gestaltet sich für Erkrankte und Angehörige gleichermaßen schwer. Menschen, die sich in einer Depression zurückziehen, würde ich immer raten, Wünsche zu äußern: „Ich benötige gerade eine Pause“ oder „Ich brauche mehr Zeit für mich“. Ein Wunsch kann aber auch sein, Unterstützung bei der Suche nach einem Therapieplatz zu erhalten. Freunde und Familie möchten ja in den meisten Fällen helfen, sind sich aber vielleicht unsicher, wie. Andersherum wissen Betroffene oftmals nicht konkret, was ihnen helfen könnte. Beide Umstände stellen eine gute Möglichkeit dar, dies gemeinsam herauszufinden.

Sie schreiben: „Die Depression ist ein Tunnel und kein tiefes Loch.“ Welche Fortschritte oder Veränderungen können Betroffenen vor Augen führen, dass ihre Krankheit eben nicht Stillstand bedeuten muss?   

Das sind gerade zu Beginn oft kleine Dinge, die man nicht unbedingt wahrnimmt, wenn man sich nicht darauf konzentriert: Da geht und steht jemand wieder aufrechter oder die Stimme wirkt kräftiger. Vielleicht kommt Freude über ein Lieblingslied, das im Radio ertönt, auf – und wenn es nur ein kurzes Lächeln für den Bruchteil einer Sekunde ist. Solcherlei Signale zeigen, dass sich etwas tut. Natürlich existieren noch weitaus umfangreichere Anzeichen dafür, dass sich jemand auf dem Heilungsweg befindet: Der Schlaf verbessert sich, der Appetit kommt zurück und es werden positive Pläne für die Zukunft geschmiedet. Es lohnt sich, auf solche Veränderungen zu achten und erste Erfolge zu feiern. Ich muss nicht in den Urlaub fahren, damit es mir besser geht – auch kleine positive Dinge des Alltags können ein Gefühl der Kontrolle zurückbringen.

Negative Gedankenspiele und Selbstgespräche können das Selbstwertgefühl weiter mindern. Welche Rolle spielen dabei auch Abwertungen, die sich in früheren Lebensjahren ereignet haben?

Bei Menschen mit Depressionen finden sich in der Biographie häufig Hinweise darauf, dass sie von ihrem Umfeld Abwertungen erfahren mussten. Doch auch Dinge, die sich nicht ereignet haben, sind hier zu nennen: Vielleicht hat eine betroffene Person zu wenig emotionale Fürsorge erhalten, es gab Beziehungsabbrüche oder Vernachlässigungen. Negative Erfahrungen, die dann in den Überzeugungen münden, man sei nicht liebenswert oder verdiene keine Zuwendung. Man dürfe sich nichts nehmen und müsse für alles kämpfen. Solche Glaubenssätze entstehen bereits im Kindesalter und können sich dann in der Depression noch verstärken. Dann kann es hilfreich sein, sich zu fragen: „Welche Stimme spricht da eigentlich gerade zu mir? Ist das wirklich meine oder eher die Stimme einer früheren Bezugsperson, die ich über die Jahre verinnerlicht habe?“ Wer sich das vor Augen führt, hat Chancen, den Teufelskreis der Depression zu durchbrechen. Am besten gelingt dies mit professioneller Unterstützung in einer Psychotherapie.      

Im Buch betonen Sie, dass die Angehörigen leider häufig vergessen werden. Wie können Familie und Freunde idealerweise Grenzen akzeptieren und gleichzeitig Unterstützung signalisieren?

Eine oft hilfreiche Unterstützung kann es etwa sein, sich bei der Suche nach einem Therapieplatz mit ans Telefon zu setzen. Oder bei Alltagsaufgaben konkrete Hilfe anzubieten. Wichtig ist dabei, die Person mit dieser Unterstützung nicht zu bedrängen, da auch dies als Druck wahrgenommen werden kann. Manchmal hat bereits empathisches Zuhören eine heilsame Wirkung. Oder gemeinsames Schweigen: Aufgrund der Problematik, dass sich Menschen mit Depressionen im Alltag bisweilen nur schwer erklären können, bieten sich gemeinsame Tätigkeiten an, bei denen nicht viel geredet werden muss. Und natürlich dürfen sich Angehörige ebenso Unterstützung suchen. Für diesen Fall existieren entsprechende Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen. Denn auch Freunde und Familienmitglieder können an ihre Belastungsgrenze geraten, zum Beispiel dann, wenn Suizidgedanken geäußert werden …  

.. und sich die Angehörigen mit Schuldgefühlen plagen. Wie können sie ihren geliebten Mitmenschen dann erreichen?

Schuldgefühle vermitteln die Illusion, eine Situation kontrollieren zu können. Oftmals werden damit unbewusst Gefühle von Hilflosigkeit oder Ohnmacht abgewehrt. Ich würde immer empfehlen, dem Gegenüber offene und wertfreie Fragen zu stellen: „Was brauchst du gerade von mir?“ oder „Wie kann ich dir beistehen?“. Einfach zuhören und damit zeigen, dass auch dieses schwere Thema kein Tabu ist. Das stellt für viele Menschen bereits eine erste große Entlastung dar. Dringt man jedoch gar nicht zu der betroffenen Person vor, ist es auch hier für Angehörige ratsam, sich professionelle Unterstützung zu suchen.    

Ihr Instagram-Account @erklaerungsnot zählt über 98.000 Follower – wie gestaltet sich der Austausch mit der Community?

Aufgrund meiner dortigen Beiträge erhalte ich von vielen Followern immer wieder das Feedback, dass sie sich durch die prägnante Form abgeholt fühlen. Natürlich existieren bereits viele Ratgeber und Informationsmaterialien zum Thema. Allerdings hat mir da immer ein wenig der emotionale Zugang gefehlt. Daher rücke ich per Social Media und Buch die Frage in den Mittelpunkt, was es eben genau bedeutet, an einer Depression erkrankt zu sein? Dank Instagram stehe ich in einem ständigen Austausch mit der Community und freue mich immer wieder über wertvolle und motivierende Rückmeldungen. Emotionale Aufklärungsarbeit zu leisten – darauf soll auch weiterhin der Fokus liegen.

erklaerungsnot.org

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