Nicht jedes Kind bringt die gleiche Motivation dafür auf, sich mit Texten auseinanderzusetzen oder im Klassenverband laut vorzulesen. Damit aus Leselust nicht Lesefrust wird, braucht es Unterstützung in entspannter Lernatmosphäre. Der Verein MENTOR – Die Leselernhelfer e. V. setzt sich dafür ein, dass Kinder und Jugendliche mit Leseproblemen oder sprachlichen Defiziten eine individuelle Förderung erhalten – mit Geduld und viel Humor, sodass sich erste Erfolge bereits nach kurzer Zeit einstellen.
Die Fähigkeit des Lesens steht für so viel mehr als das bloße Aufnehmen oder Wiedergeben eines Textes. Neben dem Schreiben und Rechnen stellt sie unsere wichtigste Kulturfertigkeit dar: Ortsschilder, Warnhinweise oder Beipackzettel liefern etwa wichtige Informationen, die uns ohne die Umsetzung von Schrift in Sprache verborgen bleiben. Und wenn Kinder ab Schuleintritt Schritt für Schritt das Lesen erlernen, öffnet sich ihnen nichts weniger als das Tor zur Welt. Sie erhalten neue Sichtweisen und Denkanstöße, entdecken spannende Kulturen und bauen ihre Fantasie aus. Wichtige Kernkompetenzen wie Empathie und Selbstständigkeit beruhen zudem auf der Fähigkeit des Lesens. Doch Kinder bringen ganz unterschiedliche Spracherfahrungen und Voraussetzungen mit in die Grundschule: Neben dem Erlernen von Lesen und Schreiben darf daher auch die Freude am Gebrauch von Sprache nicht zu kurz kommen.
Unter dem Dach des Vereins MENTOR – Die Leselernhelfer versammeln sich aus diesem Grund mehr als 13.000 ehrenamtliche Lesementoren, die deutschlandweit in Schulen rund 16.600 Schülerinnen und Schüler fördern. Peter Kaiser ist im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg für die gemeinnützige Initiative aktiv und gleichzeitig 1. Vorsitzender des Vereins; Kinder aller Schultypen werden hier beim Erwerb ihrer Lese- und Sprachfähigkeiten unterstützt. Er blickt zurück: „Bundesweit besteht der Verein seit dem Jahr 2003 – ins Leben gerufen durch Otto Stender, einen Buchhändler aus Hannover. Dieser bemerkte, welch positive Effekte die persönliche Zuwendung des Vorlesens bei Kindern bewirkt, steigert es doch sowohl die Lesefreude als auch das Selbstbewusstsein. Dies führte dazu, dass mittlerweile in Deutschland weit über 90 MENTOR-Vereine existieren.“ Im Kreis Heinsberg erfolgte der Startschuss etwa im Jahr 2013, seitdem hat sich die Zahl der Lesekinder von anfangs jährlich 40 auf bis zuletzt 150 Kinder und Jugendliche pro Schuljahr gesteigert. Die Ehrenamtler begleiten dabei in der Regel jeweils ein festes Lesekind, das über einen längeren Zeitraum von dieser 1:1-Betreuung und somit individueller Zuwendung profitiert. „Die Mentorinnen und Mentoren gehen meist in der Vormittagszeit in die Schulen“, so Peter Kaiser, „der einstündige Besuch findet unter Berücksichtigung des Stundenplans statt.“ Und dann taucht man gemeinsam in die Welt der Bücher ab, ganz ohne Notendruck, in einer entspannten Lese- und Lernsituation. Denn das unterscheidet die Arbeit des Vereins von der gewöhnlichen Deutschstunde: „Weder existiert eine Kopplung an den Unterrichtsstoff, noch handelt es sich um eine Nachhilfeleistung“, umschreibt Peter Kaiser die Grundlage der Vereinsarbeit. „Vielmehr gilt es, Lesefreude und Leselust zu wecken.“
Wenn der Zugang zu Büchern fehlt
In sämtlichen Städten und Kommunen stellt der Verein MENTOR – Die Leselernhelfer e. V. den Kontakt zwischen Mentoren und Schulen her, sodass förderungswürdige Kinder nach Zustimmung der Eltern in den Genuss der Unterstützung kommen können. Um Fantasie und Kreativität – und somit Lesefreude – zu wecken, docken die Ehrenamtler thematisch an der Lebenswelt und am Interesse der Kinder an: Dann stehen beispielsweise Bücher zur Auswahl, die sich um Freundschaft, Fußball oder Pferde drehen. Aus Erfahrungsberichten weiß Peter Kaiser aber auch: „Freude entsteht ebenso durch die Erkenntnis der Kinder, dass sich ein vertrauter Mensch ausschließlich für sie Zeit nimmt. Ein Mentor-Kollege erzählte mir einst, dass er bereits am Schulhofzaun von den Mitschülern seines Lesekindes begrüßt und aufgeregt angekündigt wurde.“ Ein Gefühl des Stolzes mit beflügelnder Wirkung.
Wie wertvoll die Arbeit des Vereins ist, unterstreichen auch Forschungsprojekte der Stiftung Lesen, die aufzeigen, dass vielen Eltern (und somit oft auch dem Nachwuchs) der Zugang zu Büchern fehlt. Daher erhalten nicht nur Kinder mit einer nachweislichen Leseschwäche Unterstützung durch die Mentorinnen und Mentoren, sondern auch jene, denen zu Hause nur selten oder gar nicht vorgelesen wird. Die Problematik hat sich im Zuge von COVID-19 noch verschärft: So fällt seit dem Ausbruch der Pandemie immer wieder Präsenzunterricht weg; viele Eltern sehen sich aufgrund von Hausaufgabenbetreuung, Homeoffice und der Sorge um die familiäre Gesundheit zudem zusätzlichem Druck ausgesetzt. Wer findet da noch die Zeit, abends entspannt zum Buch zu greifen? Gleichzeitig litt und leidet aufgrund der bestehenden Kontaktbeschränkungen allerdings auch die Betreuungsarbeit der Leselernhelfer, sodass Peter Kaiser, Pädagoge im Ruhestand, auf eine baldige Normalisierung hofft: „Ein Hybrid- oder Wechselunterricht funktioniert gut bei den Kindern, wo im Elternhaus Möglichkeiten und Bereitschaft bestehen. Ist dies jedoch nicht umsetzbar oder fehlt vielleicht der Zugang zum Lesen, fühlen sich Kinder schnell alleingelassen und abgehängt.“
Umso wichtiger, dass Kinder durch Erfolgserlebnisse Selbstvertrauen tanken können, gilt Lesen doch als die Schlüsselkompetenz in unserer Gesellschaft und ist Voraussetzung für das Lernen in allen anderen Fächern. Natürlich sorgen Fortschritte auch auf Seiten der Mentorinnen und Mentoren für Motivation und Freude, denn sie stellen eine wichtige Bezugsperson für die Schülerinnen und Schüler dar. So fußt das Konzept der Leselernhelfer-Initiative auch auf drei Schlagworten, die längst zum Motto des Vereins geworden sind: „Zeit, Zuwendung & Zuverlässigkeit“. Wer diese drei Dinge schenken kann und Kinder fürs Lesen begeistern möchte, findet unter mentor-bundesverband.de entsprechende Kontaktdaten für alle Vereinsstandorte.