Die Strukturen der Lebensmittel- und Landwirtschaft sind für Konsumentinnen und Konsumenten bisweilen schwer zu durchblicken; nicht immer sind die Konsequenzen der Wahl eines bestimmten Produkts ersichtlich. Die weltweit agierende Slow Food Bewegung setzt sich für ein zukunftsfähiges Lebensmittelsystem ein und möchte gleichzeitig die Wertschätzung für Nahrung fördern. Dies hat sich auch die daraus hervorgegangene Jugendbewegung – Slow Food Youth – auf die Fahne geschrieben. Mit kreativ-kritischen Aktionen werden die Zusammenhänge von Konsum, Nachhaltigkeit und Umweltschutz aufgezeigt. Dafür trifft man sich auch schon mal zu einer Schnippeldisko.
Wie kann es sein, dass wir einer Sache, die mehrmals täglich unseren Alltag berührt, mitunter viel zu wenig Beachtung schenken? Gemeint ist die tägliche Nahrungsaufnahme und der Umstand, dass viele Mahlzeiten hastig eingenommen werden – vielleicht in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit, im Auto an der roten Ampel oder zwischen zwei E-Mails am PC. Darunter leidet nicht nur in vielerlei Hinsicht die Gesundheit, sondern auch unsere Esskultur, die Gefahr läuft, sich zusehends vom gemeinsamen Esstisch zur reinen Nahrungsaufnahme hinweg zu bewegen. Haben Fertigprodukte das selbst zubereitete Gericht bereits verdrängt? Janina Hielscher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für nachhaltige Ernährung an der FH Münster und hat 2021 ihren Masterabschluss im Studiengang Nachhaltige Dienstleistungs- und Ernährungswirtschaft abgelegt. Vor allem aber ist sie im Netzwerk Slow Food Youth Deutschland aktiv und zählt dort zum Leitungsteam. Sie weiß: „Die Problematik beginnt meist schon in frühen Jahren, wenn Kinder beispielsweise in der Kita oder später in der Grundschule nur eine unzureichende Ernährung erfahren. Neben dem gesundheitlichen Aspekt ist Essen immer auch etwas Emotionales, eine Sache, die uns prägt. Daher ist es fatal, wenn Kinder von klein auf Nahrung lediglich als Bedürfnisbefriedigung verstehen.”
Lehrreiches bei der Schnippeldisko
Dies ist nur eines von vielen Anliegen, denen sich die Mitglieder von Slow Food Youth widmen. Gegründet wurde das Netzwerk im Jahr 2007 auf dem Internationalen Slow Food Kongress in Mexiko; zwei Jahre später fiel auch in Deutschland der Startschuss. Die weltweit agierende Jugendbewegung engagiert sich für gute, saubere und faire Lebensmittel, versteht Essen als Genuss und Politik zugleich und vereint dabei ganz unterschiedliche Menschen: Ob Köchinnen oder Lebensmittelhandwerker, Bäuerinnen oder einfach „nur” Food-Interessierte – wer sich für die Zusammenhänge der internationalen, lokalen und regionalen Lebensmittelsysteme interessiert, trifft hier auf Gleichgesinnte. Janina Hielscher: „Die Idee war es, explizit junge Menschen für das Thema »Ernährung« zu begeistern, immer auch in Verbindung mit den politischen Hintergründen, die eben dazugehören. Gleichzeitig bietet es sich innerhalb eines großen Netzwerks natürlich an, Ideen für nachhaltige und schmackhafte Speisen auszutauschen – auch Tipps für mehr Zeit und Genuss beim Essen gehören dazu.”
Bei der Ansprache und Sensibilisierung der entsprechenden Zielgruppe für Aspekte rund um das Ernährungssystem legt man bei Slow Food Youth jede Menge Kreativität an den Tag: Aktionen wie das Kochen in der Öffentlichkeit, Eat-Ins als kulinarische Protestaktion oder das Anfertigen von Saatgut-Bomben vermitteln ein komplexes Thema auf lockere Art und Weise. Und dann wäre da noch die sogenannte Schnippeldisko! Ziel des wohl bekanntesten Netzwerk-Events ist es, auf die Problematik der Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen. Damit ist nicht nur die bedrückende Tatsache gemeint, dass weltweit Unmengen von Lebensmitteln in der Tonne landen – manche Produkte werden bereits auf dem Weg vom Acker zum Supermarkt „aus dem Verkehr gezogen”, weil sie in Form und Größe oder aufgrund einer kleinen Druckstelle nicht der Norm entsprechen. Während also genau diese „krummen Dinger” geschnippelt und zu einer leckeren Mahlzeit verarbeitet werden, gibt es die passende musikalische Begleitung. „Die Schnippeldisko ist dieses Jahr 10 Jahre alt geworden”, freut sich Janina Hielscher, die das Format hin und wieder moderiert. „Da möchten wir dann zeigen, was man trotz optischer »Makel« noch alles essen kann – und zwar immer ohne erhobenen Zeigefinger.”
Anstöße für ein Umlenken und Umdenken
So abwechslungsreich eine vollwertige und nachhaltige Ernährung ist, so vielseitig gestalten sich auch die Themen, die bei den jungen Slow Food-Aktivistinnen und -Aktivisten auf der Agenda stehen. Ob Agrar- und Ernährungspolitik, Bienenschutz, biokulturelle Vielfalt, gentechnisch veränderte Organismen, die Milchvielfalt oder Tiere in der Landwirtschaft – die Anstöße für ein Umlenken und Umdenken vollziehen sich sowohl auf der individuell-persönlichen, als auch strukturell-politischen Ebene. Ohnehin trifft das Netzwerk damit den Nerv der Zeit, wie auch Janina Hielscher berichtet: „Im vergangenen Jahr fand die Gründung zweier neuer Gruppen in Freiburg und Lübeck statt. Zudem wächst das Interesse an unseren Messenger-Gruppen und den Social-Media-Kanälen stetig. Und auch künftig freuen wir uns über noch mehr Sichtbarkeit.” Wer sich gemeinsam mit den jungen Lebensmittelbegeisterten engagieren möchte, kann Kontakt zu einer der jeweiligen Gruppen aufnehmen, die neben den genannten Städten noch in Berlin, Fulda, Göttingen, Hamburg, Köln, Leipzig und Münster agieren. „Zusätzlich existieren deutschlandweit aber auch viele Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer”, wie die 29-Jährige ergänzt. Die im Namen der Bewegung enthaltene „Jugend” wird dabei übrigens sehr großzügig ausgelegt: Zwischen 16 und 35 Jahre alt sind die Mitglieder von Slow Food Youth.
Natürlich hatte und hat auch das Netzwerk mit den coronabedingten Einschränkungen zu kämpfen – allerdings fand man schnell neue (digitale) Wege, um die verschiedenen Aktionen, Projekte und Workshops auf den Weg zu bringen. Auch möchte Janina Hielscher viel lieber die positiven Aspekte der vergangenen zwei Jahre hervorheben: „Aufgrund der Home-Office-Regelung und des damit verbundenen Wegfalls der Betriebsverpflegung »mussten« viel mehr Menschen zu Hause kochen. Daraus entstanden ein gesteigertes Interesse sowie neue Aufmerksamkeit für die Ernährung. Auch das Backen, etwa von Sauerteigbrot, liegt wieder voll im Trend.” Aus diesen begrüßenswerten Entwicklungen entstehen idealerweise weitere Interessen: Neben dem Sinn für eine gesunde Ernährung betrifft das beispielsweise auch ein gesteigertes Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft, wo es im Zuge der Pandemie zu Verknappungen kam und manche Waren temporär nicht wie gewohnt verfügbar waren. Eingefahrene Konsummuster erkennen, diese angehen und im besten Falle ändern: Nur einige wenige Anregungen der jungen „Slow Foodies”, die im Idealfall jedoch vieles bewirken können.
Die Slow Food Bewegung
Als Gegengewicht zum weltweit verbreiteten Fast Food formierte sich die Bewegung in den 1980er-Jahren ursprünglich in Italien, um neben der Erhaltung der regionalen Küche auch die lokale Produktion zu fördern. Die Schärfung des Sinns für ein genussvolles und bewusstes Essen stieß weltweit auf große Zustimmung; Slow Food Deutschland e. V. wurde 1992 gegründet und zählt heute rund 12.000 Mitglieder und über 80 regionale Gruppen. Die im Verein fest verankerte Jugendbewegung Slow Food Youth setzt sich seit 2009 für eine dezidiert politische Arbeit sowie die kritische Haltung zu Konsum, Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft ein. Mitglieder sind über das ganze Land verteilt und in lokalen Gruppen organisiert.