Ob Spendersuche, Stammzellentransport oder schließlich die Transplantation: Im Kampf gegen Blutkrebs ziehen mehrere Partner gemeinsam an einem Strang. Die Verknüpfung von Sucheinheiten, Spenderdateien, Transplantationszentren und internationalen Registern koordiniert in Deutschland das Zentrale Knochenmarkspender-Register (ZKRD). Ziel ist es, für schwer erkrankte Menschen schnellstmöglich den besten Spender zu identifizieren. Über die Jahre hat sich diese lebenswichtige Arbeit stets weiterentwickelt.
Seit seiner Gründung im Jahr 1992 in Ulm stellt das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland einen wichtigen Knotenpunkt im gesamten Prozess der Stammzellspender-Suche dar. In den letzten drei Jahrzehnten konnten in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Partnern des Registers bei deutschen Spendern rund 110.000 Stammzellentnahmen für schwerkranke Patienten durchgeführt werden – Patienten rund um den Globus. Seit Juli 2020 ist PD Dr. med. Joannis Mytilineos als medizinischer Geschäftsführer des ZKRD tätig. Mit Blick auf jährlich 14.000 Leukämie-Neudiagnosen in Deutschland stellt er fest: „Sehr viele dieser Erkrankungen lassen sich glücklicherweise mit einer Chemotherapie behandeln, sodass nicht jeder Patient auf eine Transplantation angewiesen ist. Heutzutage sind wir über die diagnostischen Verfahren im Vorfeld in der Lage, entsprechend zu selektieren und somit Risikogruppen abschätzen zu können.” Nichtsdestotrotz sei bei vielen Formen der Leukämie die Stammzelltransplantation die Therapie der Wahl, so der Mediziner.
Im Jahr 2021 fanden 32 Prozent aller international durchgeführten Transplantationen dank Stammzellspenden aus Deutschland statt. Mit aktuell knapp 9,8 Millionen registrierten Spendern und Nabelschnurblutpräparaten in Spenderdateien und Nabelschnurbanken stellt das ZKRD weltweit das größte nationale Stammzellspenderregister dar. Für die Versorgung bedeutet dieser Umstand, dass sich für neun von zehn Patienten in Deutschland ein passender Spender identifizieren lässt. „Ein enormer Wert”, so Dr. Joannis Mytilineos, „der auch auf der engen internationalen Zusammenarbeit beruht. Die Transplantationszentren müssen lediglich bei einer Stelle anfragen, um mit den weltweiten Registern verbunden zu werden. Das stellt für die Kliniken und natürlich auch die Patienten einen großen Vorteil dar.” In den vergangenen 30 Jahren gingen im ZKRD über eine halbe Million solcher Suchanfragen ein – Tendenz steigend. Pro Jahr sind es allein aus Deutschland über 3.500 Suchanfragen; 30.000 weitere kommen aus dem Ausland dazu.
Zentrale Rolle, weltweit vernetzt
Nicht nur das Stammzellspenderregister hat sich in der Zeit seines Bestehens entwickelt, auch die Knochenmarktransplantation selbst erfuhr einen Wandel. Kam es zu Beginn in den 1980er-Jahren noch zu lebensgefährlichen Immunreaktionen durch die Spenderzellen bei nicht-verwandten Transplantationen, konnten die Risiken dank immer besserer Typisierungen kontinuierlich minimiert werden. Dr. Joannis Mytilineos: „Als es damals los ging, wurden über 50-jährige Patienten erst gar nicht transplantiert, da die notwendigen Vorbehandlungen zu intensiv waren. Heutzutage können wir über 70-Jährige – teilweise sogar 80-Jährige – transplantieren, da die im Vorfeld anstehenden Therapien und die verabreichten Medikamente so individualisiert und ausgeklügelt sind.“ Zudem sei heute laut dem ZKRD-Geschäftsführer die Auswahl um ein weites größer, was ermögliche, den optimalen Spender zu identifizieren. Die Typisierung befinde sich auf einem sehr hohen Niveau.
Um die vielen Anfragen für geeignete Stammzellen bearbeiten zu können, ermitteln die Mitarbeiter des ZKRD im Auftrag von Sucheinheiten potentielle Spender für deutsche und internationale Patienten mit Blutkrebs. Dabei kommt eine spezielle Software zum Einsatz, die täglich Daten aller Spenderprofile mit den Daten der jeweiligen Patienten abgleicht. Nach der Listung einer Auswahl werden besonders vielversprechende Kandidaten kontaktiert. Zur Erhöhung der Chance auf ein neues Leben für betroffene Patienten kooperiert das ZKRD von Beginn an mit anderen Stammzellspenderregistern weltweit. Dr. Joannis Mytilineos vertieft diese Vernetzung: „In unserer zentralen Rolle stellen wir eine Anlaufstelle für sämtliche Partner dar. Dazu zählen auch die Transplantationszentren, an die sich die Patienten wenden, die behandelt werden müssen. An diese Zentren sind wiederum Sucheinheiten geknüpft, die in der Regel in einem Labor sitzen. In Absprache mit uns können sie den idealen Spender identifizieren.” Das ZKRD stellt somit eine verbindende Schnittstelle dar – dort gehen sämtliche Daten ein, die von der Software nach einem gewissen Algorithmus sortiert werden. Bei über 40 Millionen Spendern weltweit eine komplexe Aufgabe. Zu guter Letzt hebt der Geschäftsführer die Spenderdateien hervor: „Diese registrieren die Kandidaten und kennen sie auch namentlich. In anonymer Form übermitteln sie uns die Daten, die es benötigt, um den passenden Spender zu finden.”
Zwei Methoden der Stammzellspende
Zur Entnahme von Stammzellen kommen zwei verschiedene Methoden zum Einsatz: Bei der peripheren Blutstammzellspende erfolgt die Gewinnung aus dem Venenblut des Spenders. Zur Erhöhung der Stammzellen im Blut wird ihm während einer viertägigen Vorbehandlung zweimal täglich der Botenstoff G-CSF unter die Haut gespritzt. Mittels eines speziellen Verfahrens (Stammzellapherese) werden dem Spender die Stammzellen ambulant entnommen; das Blut wird dabei aus einer Armvene durch einen Zellseparator zurück in die Armvene des anderen Arms geleitet. Diese Methode gilt heute als Standard. Bei der Knochenmarkspende hingegen wird unter Vollnarkose eine Punktion des Beckenkamms vorgenommen, um so Knochenmark zu entnehmen. Diese Methode kommt allerdings nur noch selten zum Einsatz.
Wer darf spenden?
Jede Person ab 18 Jahren kann sich in Deutschland grundsätzlich für die Stammzellspende registrieren lassen. Das ist bei der Teilnahme an einer Typisierungsaktion möglich; es lassen sich aber auch Typisierungssets bei einer der deutschen Spenderdateien für zu Hause anfordern. Nach der Einwilligung steht die Entnahme einer Blutprobe oder eines Wangenabstrich an, um so im Labor die Gewebemerkmale des Spenders bestimmen zu können. Nach Übermittlung der Daten an das ZKRD steht der registrierte potentielle Spender für Patienten auf der ganzen Welt zur Verfügung. Dabei ist es besonders von Vorteil, wenn Spender bei der Registrierung möglichst jung sind: Dieser Personenkreis steht nicht nur für einen längeren Zeitraum zur Verfügung – Studien zufolge führen die Spenden bei der Transplantation auch zu besseren Ergebnissen. Oberstes Kriterium ist es, das Risiko für alle Beteiligten umfangreich zu minimieren. Dr. Joannis Mytilineos nennt daher Ausschlusskriterien: „Bei bestimmten chronischen Leiden oder Autoimmunerkrankungen sollte eine Spende nicht durchgeführt werden. Die meisten potentiellen Spender sind aber sehr aufmerksam und informieren den stets anwesenden Arzt über ihre etwaige Krankheitsgeschichte.”
Neue Wege gehen
Seit dem Corona-Ausbruch sieht sich das ZKRD neuen Herausforderungen ausgesetzt: Vor allem zu Beginn der Pandemie, als es zu Flugstreichungen, Quarantänen und geschlossenen Landesgrenzen kam, wurde die weltweite Zustellung von Stammzellspenden erschwert. „Ich muss gestehen, dass ich rückblickend sehr stolz darauf bin, dass wir trotz dieser Einschränkungen alle geplanten Transplantationen durchführen konnten”, so Dr. Joannis Mytilineos. „Alle Präparate sind an die Orte gelangt, wo sie benötigt wurden.” Dabei galt es gewisse „Umwege” zu gehen – bei einem Transport von Deutschland nach Australien beispielsweise habe man die Präparate einfrieren müssen. Aktuell komme die Problematik mit russischen Patienten oder auch Spendern hinzu: „Auch hier gehen wir neue Wege, um diese Versorgung weiterhin gewährleisten zu können. Benötigt ein Patient hierzulande eine russische Spende, gelangt das Transplantat legal von Russland über Istanbul nach Deutschland.” Nicht von der Hand zu weisen sei laut Mytilineos allerdings der anhaltende Rücklauf von Neuregistrierungen: „Vor allem in den ersten zwei Jahren der Pandemie war es nicht möglich, die Typisierungsaktionen im gewohnten Maße durchzuführen. Die Anzahl neuer Spender muss zumindest jene der altersbedingt wegfallenden Spender wettmachen, um den Status Quo halten zu können.” Eine elementare Voraussetzung, um weiterhin Chancen auf Leben geben zu können.