Welchen Einfluss haben psychosoziale Maßnahmen auf die Alltagskompetenz und emotionale Verfassung von Demenzerkrankten? Eine aktuelle Studie beleuchtet Faktoren für eine optimale Behandlung und Versorgung von Betroffenen: Der Forschungsbericht macht deutlich, dass positive soziale Erlebnisse, die aktive Teilhabe an Tätigkeiten des täglichen Lebens sowie die Integration in die Gesellschaft sich förderlich auf die Symptomatik und den Verlauf einer Demenzerkrankung auswirken.
Während die Zahl der Über-70-Jährigen, die in Deutschland alleine leben, weiter wächst, steigen auch die gesellschaftlichen Herausforderungen, die die Demenzversorgung mit sich bringt: Erfreulich erscheint daher der Trend zu neuen Wohnformen für Senioren, denn für immer mehr Menschen mit Demenz bieten sich alternativ zum klassischen Pflegeheim betreute Seniorenwohngemeinschaften an. In einem familiären Wohnklima übernehmen die Mitbewohner dabei verschiedene Aufgaben, etwa beim Kochen – dieser wichtige Erhalt der Selbstständigkeit verleiht Selbstvertrauen und Würde. Tatsächlich existieren mittlerweile viele neue Ansätze, die in der Versorgung von Menschen mit Demenz Erfolg versprechen. So belegen Studien, dass die Integration psychosozialer Ansätze wie etwa Musiktherapie, Tier-gestützte Therapien und gemeinsame Aktivitäten die Demenzsymptomatik verbessern können. Vor allem soziale Kontakte stärken demnach die Betroffenen, da sie idealerweise die Krankheitsverläufe verbessern. Zu diesem Ergebnis kommt die kürzlich vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) veröffentlichte Studie „Identifikation relevanter psychosozialer Faktoren in der Entstehung, Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz“. Die Erhebung beleuchtete die Wirkung unterschiedlicher Maßnahmen bei der Behandlung von Menschen, die an Demenz erkrankt sind – mit dem zentralen Ergebnis, dass Betroffene, die in ihrem gewohnten Umfeld betreut werden und dabei sozial eingebunden sind, bessere Krankheitsverläufe aufweisen.
Zur Ermittlung dieser Erkenntnis berichteten Akteure in der Demenzversorgung, Ehrenamtliche sowie Angehörige von ihren Erfahrungen. Qualitative Inhaltsanalysen fanden dabei unter anderem in den Kategorien psychosoziale Einflussfaktoren, die die Entstehung einer Demenz begünstigen, Erschwerung des Alltags durch Demenzsymptome, Auswirkung psychosozialer Maßnahmen auf den Verlauf einer Demenz sowie Wahrung des Selbstbildes statt. Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, Sprecher des DZNE-Standorts Rostock/Greifswald: „Die intensiven Diskussionen mit den Studienteilnehmenden bestätigen, dass psychosoziale Faktoren eine hohe Bedeutung haben – sowohl für die Lebensqualität als auch für die Autonomie und die soziale Teilhabe von Menschen mit Demenz. Wenn die psychosozialen Aspekte gezielt gestärkt werden, beeinflusst das den Krankheitsverlauf positiv und unterstützt die pflegenden Angehörigen.“ Es sei von großer Bedeutung, dass Demenzerkrankte möglichst selbstständig und selbstbestimmt in ihrem gewohnten Umfeld leben und regelmäßig in soziale Aktivitäten eingebunden werden.
Eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen
Laut der DZNE-Studie sollte die Umsetzung psychosozialer Maßnahmen jederzeit einen personenzentrierten Ansatz verfolgen – dieser müsse sich an der Biografie und den Interessen der demenzerkrankten Person orientieren. Auch bestehe ein Bedarf an gesellschaftlicher Aufklärung sowie an der Unterstützung der Angehörigen: Es müsse ein Verständnis für Demenzsymptome geschaffen werden. Gleichzeitig verhindere unverhältnismäßig viel Bürokratie oftmals die Realisierung eben dieser Maßnahmen. Wie notwendig diese jedoch sind, belegen folgende Fakten: Neuesten Berechnungen zufolge leben aktuell rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz in Deutschland. Bis zum Jahr 2050 rechnen Experten mit einem Anstieg auf 2,4 bis 2,8 Millionen Betroffene, was die Demenz zu einer der größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit macht. Fokussierte sich der Blick bei Demenz lange Zeit lediglich auf medizinische und pflegerische Aspekte, erweiterte sich der Fokus in den letzten Jahren auch auf die Rolle des Lebensraums der Betroffenen. Die Koordinatorin der DZNE-Studie, Dr. Francisca S. Rodriguez, fasst zusammen: „Ein zusprechendes, anerkennendes und liebevolles soziales Umfeld kann die positiven Auswirkungen psychosozialer Maßnahmen noch zusätzlich verstärken“.
Die häufigste Demenzform ist die Alzheimererkrankung, doch es werden auch vaskuläre Demenzen diagnostiziert, verursacht durch die krankhafte Veränderung der kleinen Gehirngefäße. Zudem treten vor allem bei Patienten im höheren und sehr hohen Alter Mischformen von Alzheimer und vaskulärer Demenz auf. Neben der Abnahme der kognitiven Fähigkeiten – die Gedächtnisleistung lässt nach, das Wiederkennen von Personen und Objekten fällt schwer – kann es bei den Patienten auch zu Veränderungen der Persönlichkeit und des Gemütszustandes kommen. In einer Bevölkerung, die zunehmend älter wird, rückt daher der Präventionsgedanke immer mehr in den Vordergrund. Dr. med. Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP), betont: „Die Menschen sollten ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass auch ihr Verhalten in jüngeren Jahren das Demenzrisiko im Alter erheblich beeinflussen kann.“ Die Psychiaterin weiß: „Für jeden gibt es in jedem Lebensabschnitt vielfältige Möglichkeiten, etwas für die eigene mentale Gesundheit zu tun. Wer sich also gut um seinen Körper kümmert, sorgt gleichzeitig gut für sein Gehirn vor.“
Für neue Erlebnisse und Begegnungen offen sein
Gerade im Alter verändert sich das soziale Umfeld oftmals ungewollt, wenn etwa der Lebenspartner verstirbt oder die erwachsenen Kinder nicht mehr in der Nähe leben. Die Einsamkeit wirkt sich dabei nicht nur auf das seelische Befinden aus, sondern auch auf die körperliche Gesundheit – Experten sehen durchaus einen Zusammenhang zwischen Depressionen und Alzheimer-Erkrankungen. Umso wichtiger erscheint es da, für neue Erlebnisse und Begegnungen offen zu sein. Kontakte lassen sich etwa beim Ausüben eines Ehrenamtes oder in VHS-Kursen knüpfen. Wer dem Alleinsein aktiv entgegenwirken möchte, kann zudem frühere Hobbys reaktivieren oder in der Gruppe verreisen. Dr. med. Christa Roth-Sackenheim: „Eine aktive Lebensführung mit viel körperlicher Bewegung und sozialen Kontakten sowie geistiger Aktivität kann vor einer Demenzerkrankung schützen oder zumindest ihr Auftreten hinauszögern.” Die Medizinerin unterstreicht: „Schon eine moderate körperliche Aktivität wirkt sich positiv aus. Umgekehrt steigert jeder, der wenig aktiv ist, sein Erkrankungsrisiko. „Wer aktiv einer Demenz vorbeugen möchte, sollte daher frühzeitig damit beginnen.“
Auch die Autoren der DZNE-Studie leiten aus den gewonnenen Ergebnissen der Fokusgruppen-Diskussion konkrete Handlungsempfehlungen ab: So sei es wichtig, Modellprojekte zu initiieren, die positive soziale Kontakte von Menschen mit Demenz stärken. Hinzu käme der wichtige Schritt, konkrete praktische Möglichkeiten zu entwickeln, um die nachweislich effektiven psychosozialen Maßnahmen in die Demenzversorgung zu integrieren. Positiv sei zu erwähnen, dass in der Nationalen Demenzstrategie der Bundesregierung bereits konkrete Maßnahmen umgesetzt werden, um Menschen mit Demenz ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben in ihrem Zuhause zu ermöglichen. Ziel dieser Strategie ist es, die Situation von Menschen mit Demenz und der Angehörigen hierzulande in allen Lebensbereichen nachhaltig zu verbessern. Dazu wurden verschiedene Handlungsfelder formuliert: Neben dem Ausbau von Strukturen zur gesellschaftlichen Teilhabe am jeweiligen Lebensort sollen Menschen mit Demenz und auch Angehörige Unterstützung erhalten. Zudem wird die medizinische und pflegerische Versorgung von Demenzerkrankten weiterentwickelt; die Förderung einer exzellenten Forschung steht ebenfalls auf der Agenda. Die insgesamt 27 formulierten Ziele und 162 vereinbarten Maßnahmen sollen in den kommenden Jahren umgesetzt werden.
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Das DZNE ist ein von Bund und Ländern gefördertes Forschungsinstitut, das bundesweit zehn Standorte umfasst. Es widmet sich Erkrankungen des Gehirns und Nervensystems wie Alzheimer, Parkinson und ALS, die mit Demenz, Bewegungsstörungen und anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Gesundheit einhergehen. Ziel des DZNE ist es, neuartige Strategien der Vorsorge, Diagnose, Versorgung und Behandlung zu entwickeln und in die Praxis zu überführen.
Quellen: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), psychiater-im-netz.org