„Mobbing stoppen! Kinder stärken!”, so der Name und das Ziel der spendenfinanzierten Stiftung von Schauspieler, Sänger und Moderator Tom Lehel („KiKA TanzAlarm”), deren Präventionsarbeit bereits bei Kindern im Grundschulalter ansetzt. Hierfür engagieren sich gemeinsam mit ihm auch weitere prominente Persönlichkeiten. Bei seinem Schulevent „Wir wollen mobbingfrei!” findet Lehel vor Ort einen zielgruppengerechten Einstieg ins Thema – musikalisch, per Rollenspiel oder im direkten Gespräch. Seine Botschaft dabei: „Schau hin, und nicht weg!”
Die Stiftungsarbeit richtet sich hauptsächlich an Grundschulklassen der Jahrgangsstufen 3 und 4 – wie wichtig ist es, rechtzeitig für das Thema zu sensibilisieren?
Tom Lehel: Da kann man gar nicht früh genug mit beginnen, theoretisch wäre es schon im letzten Jahr des Kindergartens denkbar. Da fällt allerdings die Vermittlung noch etwas schwer. Die 3. und 4. Klassen aber stellen den idealen Raum dar, um Kinder für die Zeit auf der weiterführenden Schule vorzubereiten.
Welche Erfahrungen machen Sie durch Ihre Arbeit vor Ort? Wird das Thema „Mobbing” heute immer noch unterschätzt?
Die Problematik ist heute durchaus präsenter als zu früheren Zeiten, gerät aber aufgrund verschiedener Faktoren – Lehrermangel etwa – noch zu oft aus dem Fokus. Wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke, in der auch ich über mehrere Jahre Ziel von Mobbing war, muss ich sagen: Das Thema wurde damals mehr oder weniger ignoriert. Weder die Lehrer, noch die Eltern wussten, wie sie damit umgehen sollten. Das war tatsächlich eine „kleine” Katastrophe. Umso wichtiger ist es heute, mit der Stiftungsarbeit neue Türen zu öffnen und betroffenen Kindern das Gefühl zu vermitteln: „Wir bekommen das gemeinsam hin!”
Welchen Rat geben Sie den Eltern? Lässt sich ein guter Mittelweg zwischen Aufmerksamkeit und Besonnenheit finden?
Was niemals hilft, ist Panik. Denn Kinder gehen ihren Weg. Hier passt das Bild einer Autobahn: Die Eltern bilden die Leitplanke und haben die Aufgabe, das Kind bei der ein oder anderen Kurve „in der Spur” zu halten. Zudem müssen sie – auch wenn das kein neuer Spruch ist – der berühmte Fels in der Brandung sein. Das bedeutet: Egal, was das Kind seinen Eltern berichtet, es darf nie das Gefühl vermittelt bekommen, dass etwas peinlich ist. Viele von Mobbing betroffene Kinder möchten ihre Eltern nicht mit einbinden, sie nicht belasten. Daher betonen wir: „Jeder ist richtig, so wie er ist.” Wenn ich mein Kind bestärke und ihm jederzeit zuhöre, dann kann diesem Kind nichts passieren.
Wie entsteht Mobbing? Welche Faktoren können ein wiederholtes, regelmäßiges Schikanieren begünstigen?
Grundsätzlich macht es vor keinem Halt, niemand ist davor gefeit. Mobbing ist ein Machtspiel – es geht einzig und allein darum, das auserkorene Opfer zu erniedrigen. Das hat nicht zwangsweise etwas mit Äußerlichkeiten, Klassenkonstellationen oder verschiedenen Kulturen zu tun – vielmehr wird es von den Ausübenden als „cool” wahrgenommen. Und genau das ist das Gefährliche daran! Das wird mitunter durch Social Media verstärkt: Ein Video, das etwa eine Schlägerei auf dem Schulhof zeigt und jede Menge Likes erhält, suggeriert, dass solch ein Verhalten Bestätigung zur Folge hat.
Welche Rolle nehmen Unbeteiligte beim Mobbing ein? Was können Mitschüler oder Zuschauende tun, damit sich solch eine Situation in der Klasse nicht verfestigt?
Tatsächlich sind die angesprochenen Personen durchaus am Prozess beteiligt. Denn letztlich sind es genau diese Beobachter, die entscheiden, ob Mobbing stattfindet oder nicht. Wer passiv bleibt, befreit das „Mobbing-Monster Mo”, wie ich es bei meinen Schulbesuchen formuliere, aus dem Käfig. Ziel muss es daher sein, gemeinsam zu dem Entschluss zu kommen: „Wir wollen dieses Monster auf unserem Schulhof nicht!”. Damit der Käfig verschlossen bleibt, benötigt es einen Schlüssel, und dieser Schlüssel heißt „Schau hin, und nicht weg!”
Was auch für die Lehrkräfte gilt …
Genau, und deswegen verfolgen wir mit unserer Arbeit den „Whole School Aproach”: Alle, die am Schulleben beteiligt sind, werden mit einbezogen – sei es die Klassenlehrerin, der Sportlehrer oder auch der Hausmeister. Wir sind eine Gesellschaft, und daher kann Mobbing-Prävention nur durch gemeinsames Hinsehen funktionieren. Auf einer Schule tummeln sich nun mal deutlich mehr Schülerinnen und Schüler als Lehrerinnen und Lehrer. Daher müssen Letztere, wenn Mobbing stattfindet, rechtzeitig informiert werden, um die Aufmerksamkeit schärfen zu können. Das hat nichts mit Petzen zu tun.
Laut einer PISA-Studie hat jedes sechste Kind bereits Mobbing in der Schule erfahren. Welche gesundheitlichen Folgen drohen da?
Mobbing ist keine Momentsituation, die eine betroffene Person nach einer gewissen Zeit vergisst. Viele nehmen ihre Erfahrungen mit bis ins hohe Alter. Manche entwickeln vielleicht Ängste vor Gruppen, haben Panikattacken oder leiden unter einer Depression, deren Ursache ihnen nicht bewusst ist. Körperliche Verletzungen wie eine blutende Wunde nimmt der Mensch unmittelbar wahr. Seelische Verletzungen hingegen leider nicht. Mobbing kann zudem ein Trigger für eine spätere Alkohol- oder Drogensucht sein. Auch ein Suizidrisiko ist gegeben.
Auch Cybermobbing stellt ein stetig wachsendes Problem für Kinder und Jugendliche dar: Wie nähern Sie sich bei Ihren Schulbesuchen dieser Thematik an?
Das ist letztlich ein weiteres Werkzeug – wer auf dem Schulhof mobbt, mobbt potentiell auch im Netz. Dort ist die Problematik allerdings noch weitreichender, denn wir wissen ja, dass das Netz nie vergisst. Letztlich schaden sich die „virtuellen Mobber” mit ihrem Verhalten aber selbst: Was heute gepostet wird, kann eines Tages Probleme bei der Berufswahl bereiten, machen sich doch viele potentielle Arbeitgeber online ein Bild von der Sozialkompetenz ihrer Bewerber. Diese Konsequenzen versuche ich den Kindern stets zu verdeutlichen: „Passt bitte auf, was ihr postet. Ihr seid öffentlich und alle können es lesen.”
Sie haben es bereits angesprochen: Ihr Engagement beruht auch auf der eigenen Biografie. Inwiefern sorgen durchlebte Mobbing-Erfahrungen für die notwendige Empathie?
Ich bin dadurch authentisch und begegne den Kindern auf Augenhöhe. Sage: „Ich war grottenschlecht in Mathe. Und beim Fußball total mies. Ich bin auch nur ein Mensch!” Ich mache den jungen Schülerinnen und Schülern klar, dass sie mir wichtig sind. Und dass ich nicht möchte, dass sie durchmachen, was ich erleben musste. Jeder geht mit Mobbing anders um, manche Betroffenen besser, andere schlechter. Das ist eine Typfrage: Der eine bricht zusammen, die andere leidet unter Angstattacken, und eine dritte Person wiederum möchte an der Situation etwas ändern. Deshalb ist es so wichtig, die Kinder stark zu machen.
Welche Rolle spielten zuletzt Kontaktbeschränkungen und Homeschooling bei der Mobbing-Problematik?
Der Mensch ist ein Herdentier und fühlt sich unwohl in einer Isolation. Bei Kindern verstärkt sich das noch. Die sind wie ein Schwamm und wollen alles aufsaugen, die Welt entdecken und etwas erleben. Die aufgrund der Coronapandemie erlebte Isolation ist der Ausgrenzung durch Mobbing nicht unähnlich. Das sorgt dafür, dass die aggressiven Kinder noch aggressiver werden und die ohnehin schon introvertierten Kinder verstummen. Daher ist es jetzt so wichtig, das Gemeinschaftsgefühl wieder zu stärken.
Durch die direkte Arbeit mit den Schulklassen erhalten Sie sicher ein unmittelbares Feedback: Welche positiven Erlebnisse nehmen Sie daraus mit?
Erst kürzlich kam nach einem Schulevent ein vielleicht neunjähriges Mädchen auf mich zu, um mich zu umarmen. Da war ich zuerst ein wenig perplex, dann aber sehr gerührt. Die Schülerin wollte sich einfach nur dafür bedanken, dass endlich mal jemand mit ihr über das Thema gesprochen hat – was für ein starkes Signal! Es freut mich generell, wenn die Kinder sich während der Events öffnen, da sie gemerkt haben, dass ich das ebenfalls tue. Da steht plötzlich ein Kind inmitten von 150 bis 200 Schülerinnen und Schülern auf und sagt laut: „Ich bin gemobbt worden und weiß, wie sich das anfühlt.” Ein wichtiger Schritt und ein enormer Erfolg!