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Erste Hilfe bei Einsamkeit

Erste Hilfe bei Einsamkeit

Manchmal kann bereits „einfach mal reden“ ein erster Schritt aus der Isolation sein. Fotos: © Silbernetz, Paul Schaerf
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Niemand soll im Alter einsam sein – mit diesem Bestreben unterstützt der Silbernetz e. V.  ältere Menschen, damit diese wieder in Kontakt mit anderen kommen. Einst gestartet als Feiertagstelefon in Berlin, bietet der Verein heute deutschlandweit mit den Angeboten „Silbertelefon“, „Silbernetz-Freund*innen“ und „Silberinfo“ drei verschiedene Wege aus der Isolation. Mal möchten die Anrufenden einfach nur reden, mal sind es aber auch kleinere und größere Lebenskrisen, die zur Kontaktaufnahme führen. Die Silbernetz-Initiatorin Elke Schilling unterstreicht: „Ältere wissen sehr gut, was sie wollen und was sie brauchen. Dies zu verdeutlichen, kostet allerdings jede Menge Kraft und Energie.“   

Das Silbernetz-Angebot basiert auf einem dreistufigen Service für ältere Menschen: Mit welcher Zielsetzung ist der Verein im Jahr 2016 ins Leben gerufen worden?

Elke Schilling: Die Intention war ganz klar, für ältere Menschen mit Einsamkeitsgefühl ein Angebot zu schaffen, das nicht aufsuchend ist. Das nicht in ihre Privatsphäre eindringt. Vielmehr sollen die Betroffenen die Möglichkeit haben, aktiv das Maß an Unterstützung zu suchen, das sie aus eigener Sicht benötigen. Denn die Erfahrung ist, dass aufsuchende Angebote häufig an einer bestimmten Hürde scheitern: Die Menschen sind dann nicht zu erreichen oder gewähren keinen Zutritt. Oftmals stellen für Ältere die eigenen vier Wände den letzten Zufluchtsort dar, der manchmal den persönlichen Kräften entsprechend nicht mehr so in Ordnung gehalten werden kann, dass man Besuch hereinlassen möchte.

Ein Jahr nach Vereinsgründung startete dann in Berlin das erste Feiertagstelefon …

Begonnen haben wir damals mit 15 Ehrenamtlichen, um in der schwierigen Weihnachtszeit rund um die Uhr für ältere Menschen zur Verfügung zu stehen. Erst Mitte November hatten wir damals mit der Werbung begonnen, und das für eine Klientel, die eher schwer zu erreichen ist. Doch das Angebot wurde richtig gut angenommen: An den ersten acht Tagen haben uns rund 400 Anrufende erreicht, was der Beleg dafür war, dass wir gebraucht werden. So konnten wir bis Herbst 2018 dank Förderzusagen ausreichend Mittel zusammenbringen, um unser eigenes kleines Call Center aufzubauen.     

Anstoß für den Silbernetz-Aufbau war für Sie auch der einsame Tod eines Nachbarn: Welche Gefahren birgt die Anonymität der Großstadt in der heutigen Zeit? 

So lange ein Mensch einen Beruf ausübt, besitzt er diese gewissen Zwangskontakte des Erwerbslebens und somit auch eine Auswahl an Kontaktmöglichkeiten und Menschen, die er täglich ansprechen kann. Dies fällt in der Regel mit dem Ausscheiden aus dem Beruf weg. Heißt: Man muss sich seine eigene Umgebung völlig neu konstruieren, was viele Menschen aber nicht schaffen. Hinzu kommt, dass die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Menschen im Erwerbsleben gerichtet ist. Da genügt ein Blick in die Medien: Dort wird über die Lebensrealität älterer Menschen keineswegs ihrem Anteil in der Bevölkerung entsprechend berichtet. Diese Unsichtbarkeit ist für Personen, die vielleicht eher introvertiert sind oder auf diesen Übergang im Leben nicht vorbereitet waren, ein weiterer Moment des Verschwindens. Da hören wir am Telefon oft diesen einen Satz: „Mich sieht man eigentlich gar nicht mehr.“

Welche Rolle spielen dabei auch Stereotypisierungen durch die Gesellschaft?

Zuschreibungen wie „gebrechlich“ oder „wenig leistungsfähig“ sorgen zusätzlich dafür, dass ältere Menschen in diese Unsichtbarkeit fallen. Geht beispielsweise ein über 70- oder 80-jähriger Patient zu einem bis dato fremden Arzt, blickt dieser vielleicht in die Akte, sieht das Alter seines Gegenübers und entwirft direkt ein Muster an Leiden und Beschwerden im Kopf, ohne aber den jeweiligen Menschen zu sehen. Doch auch Ältere wissen sehr gut, was sie wollen und was sie brauchen. Sie müssen daher nicht per se als senil oder altersstarsinnig abgestempelt werden. Dies zu verdeutlichen, kostet allerdings jede Menge Kraft und Energie.    

Aus welcher Motivation heraus wenden sich Anrufende an das kostenfreie Silbertelefon?   

Das ist tatsächlich sehr oft dieser Lebensphasenwechsel. Ich hasse das Wort „Ruhestand“ (lacht). Denn es löst im Kopf etwas aus, das der Realität überhaupt nicht entspricht. Ruhe, das ist Stagnation, und Stand, das bedeutet Stehenbleiben. Dabei sprechen wir im Bereich der Seniorinnen und Senioren bestenfalls sogar von der längsten Lebensphase: Meine älteste Anruferin war 109 Jahre alt! Von 60 bis 109 – das sind 49 Jahre. In dieser Zeit ist eine Menge möglich.      

Der Verein bietet auch die Möglichkeit an, regelmäßige Telefonate mit sogenannten Silbernetz-Freund*innen zu führen. Wie wichtig ist es für die Anrufenden, eine feste Konstante in der Woche zu haben?

Bei diesen Freundschaften entwickelt sich über einen längeren Zeitraum ein tiefes Vertrauen, sodass man über sämtliche Themen sprechen kann. Kommen die beiden Gesprächspartner an den Punkt, an dem sie für sich entscheiden, aus dieser telefonischen Anonymität heraustreten und sich persönlich treffen zu wollen, ist das ihre freie Entscheidung, die wir als Silbernetz selbstverständlich respektieren. Wir ziehen uns dann aus dieser Beziehung zurück. Mit Blick auf die 200 bis 250 Anrufe, die uns täglich erreichen, existieren allerdings vergleichsweise eher wenige dieser Silbernetz-Freundschaften. Das zeigt, dass es für viele ältere Menschen, die in eine Einsamkeit oder Isolation geraten sind, angenehmer ist, einfach anzurufen, wenn sie eben den Wunsch haben, mit jemandem zu reden. Während manche Menschen nach Struktur im Alltag suchen, möchten andere wiederum unabhängig sein. Beiden Bedürfnissen kommen wir entgegen.

Ab März 2020 war das Silbertelefon bundesweit geschaltet: Inwiefern hat das Thema „Einsamkeit“ während der Pandemie in sämtlichen Gesellschaftskreisen an Bedeutung gewonnen?

Die Klientel unserer Anrufenden wurde damals durch jene Menschen erweitert, die durch die Lockdowns plötzlich von ihren bisherigen Kontakten abgeschnitten waren. Durchaus mobile Seniorinnen und Senioren, denen plötzlich buchstäblich die Decke auf den Kopf fiel. Die zu Ostern nun erstmals keinen Besuch von den Kindern erhielten. Da konnten wir das entlastende Gespräch anbieten und auch dazu ermutigen, den Kontakt zur Familie virtuell aufrecht zu halten: „Versucht es einfach mal und lasst euch doch von euren Kindern ein Tablet mit entsprechender Voreinstellung schicken, sodass ihr nur drei Knöpfe drücken müsst, um ins Gespräch zu gehen.“ Von heute auf morgen mussten sich auch Menschen mit dem Thema der Einsamkeit auseinandersetzen, die sich zuvor dafür keinerlei Strategie zurechtgelegt hatten.      

Machen Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewisse Hochphasen oder bestimmte Tage für vermehrte Kontaktaufnahmen aus?

Über die Jahre haben wir festgestellt, dass die meisten Anrufe in den Herbst- und vor allem Wintermonaten eingehen. Die Sonntage stechen dabei heraus, denn dann hat man auch außerhalb der Wohnung nur wenige Möglichkeiten, in Kontakt zu kommen. Und natürlich verzeichnen wir Hochphasen rund um Weihnachten sowie den Jahreswechsel. Daher bieten wir auch in diesem Jahr wieder unser Feiertagstelefon an, bereits zum achten Mal und rund um die Uhr. Neben unseren Kernthemen wie Krankheit, fehlende Kontakte, Schwierigkeiten mit Ämtern und dem erschwerten Informationszugang spielt zudem auch Tagesaktuelles eine Rolle: Krisen, Kriege, steigende Kosten, Altersarmut oder auch drohender Wohnungsverlust. Durch unsere Arbeit haben wir gelernt, dass die Gruppe der Älteren diejenige mit dem größten Erfahrungsschatz in unserer Bevölkerung ist – dieser wird allerdings viel zu selten genutzt.

Seit 2024 existiert zudem das Angebot „Infotelefon – Digitale Teilhabe Älterer“. Welchen Herausforderungen begegnen ältere Menschen in unserer digitalisierten Welt?

Gedruckte Branchenbücher wurden weitestgehend abgeschafft. Termine bei Ämtern und Ärzten müssen vermehrt online gebucht werden. Tut man dies nicht, fallen mitunter Gebühren an. Es gibt verhältnismäßig viele ältere Menschen, die keinen Zugang zu digitalen Dienstleistungen haben. Es ist fatal, dass diese Gruppe bei den Digitalisierungsstrategien der Länder und des Bundes komplett ausgeblendet wird. Das Angebot „Infotelefon – Digitale Teilhabe Älterer“ ist ein Baustein der SMART City Strategie-Berlin und bildet hier eine Ausnahme: Wir geben denen, die keinerlei Zugang zum Internet haben, unter der 030 544 533 0 533 Informationen zu den notwendigen Schritten, die es braucht, um entsprechende Dienstleistungen nutzen zu können. Denn die wenigsten Menschen zwischen 70 und 80 gehen da intuitiv vor; vielmehr hat es diese Generation gelernt, mit Gebrauchsanweisungen umzugehen. Diese findet man heutzutage aber auch meist nur noch im Netz.      

Drei Stufen des Kontakts

Der Silbernetz e. V. bietet bundesweit Hilfe für ältere Menschen mit Einsamkeitsgefühlen. Mit einem dreistufigen Angebot öffnet der Verein Türen aus der Isolation: Am Silbertelefon 0800 4 70 80 90 zum einfach mal Reden bei Bedarf sowie mit den Silbernetz-Freund*innen, die ihre Seniorinnen und Senioren regelmäßig zu einer festen Zeit anrufen und dabei erste Schritte aus der Isolation begleiten. Die Silberinfo wiederum informiert über Angebote für ältere Menschen.


 

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Silbertelefons setzen sich aus sämtlichen Bevölkerungsteilen und Altersgruppen zusammen. Inwiefern fördert dies auch die Kommunikation zwischen den Generationen?

Das Phänomen des Generationenkonflikts mag als Einzelerscheinung innerhalb von Familien auftreten, nicht jedoch in unserer Gesamtgesellschaft. Vielmehr erleben wir junge Menschen, die großes Interesse daran haben, mit ihren älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern ins Gespräch zu kommen. Allerdings hatten wir zu Beginn Schwierigkeiten, unsere jüngeren Silbernetz-Freund*innen in Kontakt zu bringen, da die Anrufenden sagten: „Ich hätte gerne einen Gesprächspartner aus meiner Altersgruppe, denn die sind in meiner jetzigen Lebensphase weniger geworden.“ Menschen aus Seniorenheimen wiederum äußerten: „Geben Sie mir ruhig etwas Junges – Alte habe ich schon den ganzen Tag um mich.“ (lacht) Tatsächlich bewegt sich die Altersspanne unserer ehrenamtlichen Silbernetz-Freund*innen zwischen 20 und 95!      

Gibt es weitere Themen und Pläne für den Ausbau des Silbernetz-Angebots?

Wir arbeiten seit zwei Jahren intensiv daran, etwas zur Hitze-Problematik auf die Beine zu stellen. Fakt ist: Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat sich der Sterbegipfel bei der älteren Generation aufgrund der Hitzewellen vom Winter in den Sommer verschoben. Hier in Berlin existiert zwar eine Hitzestrategie für stationäre Einrichtungen, doch 80 Prozent der Älteren leben in ihrer Häuslichkeit. Der eingangs erwähnte Tod meines Nachbarn war zwar nicht hitzebedingt – insgesamt aber häufen sich diese Fälle in den Sommermonaten. Da sitzen Menschen, die nicht mehr mobil sind, tagsüber in ihrer abgedunkelten Wohnung. Nachts wiederum trauen sie sich nicht zu lüften, da sie vielleicht im Erdgeschoss leben und sich vor Einbrüchen fürchten. Aus diesem Grunde freuen wir uns, dass unser „Hitzetelefon“ als Pilotprojekt im Berliner Bezirk Neukölln gestartet ist.

silbernetz.org

 


Offenes Ohr am Feiertagstelefon

Ab dem 24. Dezember 2024 startet Silbernetz zum 8. Mal das Feiertagstelefon: Von Heiligabend um 8 Uhr bis Neujahr um 22 Uhr ist das Silbertelefon unter 0800 4 70 80 90 erreichbar – rund um die Uhr und deutschlandweit. Anonym, vertraulich, und kostenfrei finden hier alle Menschen ab 60 Jahren, die sich einsam fühlen und einfach mal reden möchten, ein offenes Ohr. Ärzte und alle Interessierten können hierzu Informationsflyer bestellen: kontakt (at) silbernetz.de


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