Kistenweise saisonale Vielfalt: Gegen einen monatlichen Beitrag erhalten Mitglieder des Lindenhofs Woche für Woche erntefrisches Gemüse, Eier und Fleisch sowie einen Einblick in Anbau und Produktion. Der Landwirt hingegen freut sich dank dieser Abnahmegarantie über Planungssicherheit jenseits ökonomischer Zwänge. Das ressourcenschonende Konzept der Solidarischen Landwirtschaft beeinflusst allerdings nicht nur das Konsumverhalten – auch der heimische Speiseplan bekommt ein schmackhaftes Update verpasst.
Ein seit 75 Jahren ungenutzter Bauernhof, gelegen im nördlichen Gelsenkirchen, bereit, aus seinem Dornröschenschlaf geweckt zu werden. Dazu brauchte es Menschen mit Elan, Herzblut und Ideenreichtum – alles Qualitäten, die Martin Schulze Schleithoff und sein Team vor rund sechs Jahren an den Tag legten, um dem Lindenhof eine neue Bestimmung zu verleihen. Der 1998 von Martin Schulze Schleithoffs Eltern erworbene und wieder aufgebaute, jedoch nicht betriebene Hof, darf heute als Paradebeispiel für eine nachhaltige Landwirtschaft angesehen werden. Denn ob Blumenkohl, Bohnen, Tomaten, Kartoffeln, Möhren, Kürbisse oder Spinat – Woche für Woche stehen für die Kunden des Lindenhofs, je nach Ernteplan und gegen einen festen monatlichen Betrag, prallgefüllte Kisten mit saisonalen Köstlichkeiten zur Abholung bereit. Solidarische Landwirtschaft, kurz: SoLawi, nennt sich das Prinzip, bei dem sich ein bestimmter Verbraucherkreis mit einem landwirtschaftlichen Betrieb zusammenschließt, um die Eigenversorgung abzudecken und dem Landwirt gleichzeitig Planungssicherheit zu geben. Dazu erwerben die Mitglieder verschiedene Anteile – die Schulze Schleithoffs bieten aktuell Gemüse-, Fleisch-, Eier- und Milchanteile an. Regionale, qualitativ hochwertige Lebensmittel im Abonnement, sozusagen. „Die Idee entstand damals aus einer Hobbylandwirtschaft heraus, die allerdings nicht gegenzufinanzieren war“, so der studierte Agrarwissenschaftler Martin Schulze Schleithoff. „Gleichzeitig konnten wir in unserem Umfeld aber eine große Begeisterung dafür feststellen, dass wir hier selbst unsere Produkte anbauten. Der Plan war, unsere Leidenschaft fortan mit zwei bis drei weiteren Familien zu teilen.“ Nach einem Artikel in der regionalen Tagespresse meldeten 350 Familien ihr Interesse an.
Diese Zahl wäre damals nicht zu stemmen gewesen; das SoLawi-Projekt entwickelte sich dennoch Jahr für Jahr weiter. Mittlerweile besitzen rund 150 Familien Gemüseanteile, für den Lindenhof steht das sechste Wirtschaftsjahr an und der (Hof-)Laden brummt. So zählen dort eben weniger die ökonomischen Zwänge der globalen Märkte, sondern viel mehr ökologisch-soziale Aspekte – Zwischenhändler fallen weg und Verpackungen sowie Lebensmittelabfälle lassen sich stark reduzieren. Auf dem Lindenhof finden die Anteilnehmer das, was vielen Verbrauchern heutzutage verlorengegangen ist: einen Bezug zu dem, was sie konsumieren. „Die Menschen möchten, dass ihre Lebensmittel wieder ein Gesicht bekommen“, so Martin Schulze Schleithoff, „sie wollen wissen, wer sie unter welchen Umständen produziert. Bei uns übernimmt der Verbraucher Verantwortung für seine Lebensmittel und erhält im Gegenzug Transparenz.“ Diese Möglichkeit, in den Prozess mit einzugreifen, kommt bestens an. Jeden Freitag ab 13 Uhr und Samstag zwischen 10 und 13 Uhr sichern sich die Mitglieder ihren Ernteanteil – neben Gemüse, Obst, Säften, Eiern und Milch sind auch Anteile mit Fleisch und Wurst vom Schwein, Rind und Lamm erhältlich. Auch hier steht der bewusste Umgang mit dem Produkt im Fokus: Respekt vor dem Tier statt anonyme Massenware. Die Zusammenarbeit mit einem von den Betreibern des Lindenhofs sorgfältig ausgesuchten Metzger – ein kleiner traditioneller Familienbetrieb im 20 Kilometer entfernten Wulfen – macht es möglich, individuelle Absprachen zur Schlachtung zu treffen.
Der Hof entfaltet eine verbindende Wirkung
Nicht nur an den Abholtagen ist auf dem Gut jede Menge los. Mit Clara (7) und Frederik (12)
wirbeln auch die beiden Kinder des Betreibers über den Lindenhof; die Großeltern machen das Mehrgenerationen-Erlebnis komplett. Doch auch für die Mitglieder der Solidarischen Landwirtschaft gerät die wöchentliche Abholung der Erntekisten stets zum Gemeinschaftsereignis, zum liebgewonnenen Ritual. „Die Familien treffen sich hier auf dem Hof, beginnen freitagnachmittags ihr Wochenende und die Kinder können herumtoben und die Hoftiere besichtigen“, so Martin Schulze Schleithoff. „Die Eltern kaufen derweil ein und trinken innerhalb der entstandenen Gemeinschaft auch mal zusammen eine Tasse Kaffee oder eine Flasche Bier.“ Dass sein Hof solch eine verbindende Wirkung entfalten würde, habe er zu Beginn durchaus unterschätzt, ergänzt der Landwirt augenzwinkernd. Und auch die kontinuierliche Ausweitung des Angebots zeigt die positive Entwicklung der SoLawi auf, sind neben den erwähnten Anteilen doch auch Honig und pasteurisierte Milch per Vorbestellung und Zukauf erhältlich. Hier setzen die Schulze Schleithoffs ebenfalls auf Kooperationspartner aus der Region, um viel Transparenz und zugleich wenig bis keine Verpackung garantieren zu können – von ihren Mitgliedern erhalten sie hierzu durchweg positive Resonanz.
Neben der erleichterten Planung sichert die kleinstrukturierte, bäuerliche Landwirtschaft den SoLawi-Betreibern eine große Vielfalt an Produkten, die sie ihren Mitgliedern anbieten können. Im Gegenzug garantiert die Gemeinschaft dem Lindenhof die Abnahme der Ernte für ein Jahr, zeigt sich also – wie der Name des Prinzips verrät – solidarisch. Der Einkauf regionaler und saisonaler Lebensmittel beeinflusst zudem, was bei den Kunden des Lindenhofs auf dem Teller landet. Martin Schulze Schleithoff freut sich, immer wieder von einer Umstellung der heimischen Küche zu hören: „Normalerweise haben Familien oder auch Einzelpersonen fünf bis sieben Rezepte, die sie aus dem Ärmel schütteln. Dies ist nicht mehr der Fall, wenn ganz unterschiedliche Kombinationen und Mengen von Gemüse vorhanden sind. Durch das System der untereinander geteilten Ernte werden neue Rezepte daher von ganz allein »notwendig«.“ Gerichte, auf die man sonst nie gekommen wäre, stehen dann plötzlich auf dem Speiseplan, wie der Landwirt berichtet: „Viele lernen beispielsweise im Winter Rote Beete zu schätzen, die sie eigentlich aus Kindheitstagen eher süß-sauer eingelegt und in unangenehmer Erinnerung haben. Das hat sich nun durch Rezepte wie Rote Beete-Tatar oder -Suppe komplett geändert.“ Was im Supermarkt nicht im Einkaufswagen gelandet wäre, avanciert dank Solidarischer Landwirtschaft zum kulinarischen Hit.
Das Angebot wird weiter ausgebaut
Im Zuge regelmäßiger Mitgliederversammlungen kommen offene Fragen und Wünsche zur Sprache. So entschied man sich etwa vor rund zwei Jahren dazu, fortan auch Probe-Gemüseanteile anzubieten. Für Interessierte besteht seitdem die Möglichkeit, das Konzept an vier aufeinanderfolgenden Abholtagen zu testen, bevor sie sich dazu entscheiden, verbindlicher Teil der Wirtschaftsgemeinschaft zu werden. Dass sich dieser Schritt allerdings mehr als lohnt, beweist nicht nur der wiedergewonnene Bezug zum eigenen Ernährungs- und Konsumverhalten. Auch wird das Angebot weiter ausgebaut: „Der Weg zum Hof soll sich für unsere Mitglieder so effizient wir möglich gestalten“, wünscht sich Martin Schulze Schleithoff. „Damit sie hier exakt die Produkte finden, die sie zum Leben benötigen.“ Dazu wurde vor rund einem Jahr der Hofladen mit einem großen Unverpackt-Bereich, der auch für Nichtmitglieder während der Abholzeiten geöffnet ist, etabliert.
Die Schulze Schleithoffs sehen sich dabei nicht als fertige Dienstleister, die den Menschen lediglich etwas anbieten – vielmehr möchten sie mit den Mitgliedern den Hof entwickeln und gemeinsam Landwirtschaft gestalten.