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Zwei Männer betreuen einen am Boden liegenden Fußballer medizinisch auf einem Fußballrasen, im Hintergrund Publikumsränge eines Stadions

„Ein gewonnenes Spiel ist ein Spiel, in dem sich niemand verletzt“

Ärztliche Versorgung unter Flutlicht: Dr. Ralf Doyscher und Physiotherapeut Hendrik Schreiber versorgen Breel Embolo. Foto: © Borussia VfL 1900 e. V.
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Fußballbundesliga, DFB-Pokal und Europacup: Der Traditionsverein Borussia Mönchengladbach tanzt regelmäßig auf mehreren Hochzeiten. Straffe Spielpläne, nicht nur für die Profis auf dem Platz: Auch Mannschaftsarzt Dr. Ralf Doyscher weiß um die hohen Ansprüche im heutigen Leistungssport. Dabei profitieren er und sein Team von besten medizinischen Voraussetzungen am Borussia-Park. Ein Gespräch über moderne Diagnostik, medizinische Versorgung vor 60.000 Zuschauen und die Auswirkungen der Infektionskrankheit COVID-19 auf den Spielbetrieb.

Im Zuge der Corona-Krise befanden sich die Bundesligaprofis über Wochen zu Hause und hielten ihre Fitness dank individueller Trainingspläne aufrecht. Ist das ohne wettkampfnahe Belastung überhaupt möglich?

Dr. Ralf Doyscher: Das ist natürlich schwierig und eine echte Ausnahmesituation. Einen komplexen Sport wie den Fußball kann man im Heimtraining nicht zufriedenstellend simulieren. Generell muss man aber mit Blick auf den Liga-Start einplanen, dass eine Art von Vorbereitungstraining notwendig ist, um die Profis für den Spielbetrieb wieder gänzlich fit zu machen. Hier sind die gesamte Flexibilität, Kreativität und das Know-How unserer Trainer gefragt, die hier gerade alle Register ziehen und trotz der schweren Lage einen tollen Job machen.

In welchem Maße darf da die Belastung gesteigert werden? Droht bei einer übereilten Aufbauphase ein höheres Verletzungsrisiko?

Da muss in der Tat mit Vorsicht und einer sorgfältigen Planung agiert werden. Bundesligaspieler sind Top-Sportler auf sehr hohem Leistungsniveau. Zu große Sprünge in der Belastungsintensität – das wissen wir auch aus der Forschung – gehen mit einem erhöhten Verletzungsrisiko einher. Hier bei Borussia Mönchengladbach verfügen wir über ein Team aus Sportwissenschaftlern, das auf langjährige Erfahrungen im Profisport zurückblickt. Unser Trainerteam stimmt sich hier regelmäßig mit dem gesamten medizinischen Staff ab. Jeder bringt sein Wissen mit ein. Wir kommunizieren noch enger.

Hinzu kommt: Fußball ist ein Mannschaftssport. Die Spieler haben ein Bedürfnis nach dem gemeinsamen Sporttreiben …

Eine Mannschaft besteht aus vielen Individuen und jeder geht mit solch einer ungewohnten Situation anders um. Aber ohne Frage ist ein Mannschaftsgefüge, ist diese Gruppendynamik notwendig für den Erfolg. Das kann in der häuslichen Abgeschiedenheit leider nicht stattfinden.

Seit 2018 sind Sie als festangestellter Mannschaftsarzt bei Borussia Mönchengladbach tätig. Damals fand eine Neuausrichtung im Funktionsteam statt.

Wie bei einigen Vereinen herrscht auch bei Borussia Mönchengladbach eine große Wettbewerbsbelastung mit vielen Spielen, die auch mit Reisetätigkeit verbunden sind. Ein Europapokalspiel unter der Woche beschränkt sich nicht nur auf den Spieltag an sich, sondern nimmt schon mal zwei bis drei Tage in Anspruch. Diese gesteigerten Anforderungen führen dazu, dass sich im Profifußball ein ganzes Team aus Ärzten die verschiedenen Aufgaben der Betreuung teilt. Die Borussia hat sich entschlossen hier einen relativen neuen Ansatz mit der Ergänzung um einen festangestellten Mannschaftsarzt zu gehen. Diese Innovationsfreudigkeit und der unbedingte Wille, auch Strukturen um die Mannschaft langfristig weiter zu entwickeln, der auch in anderen Bereichen herrscht, war für mich ein wichtiger Grund, mich für den Job bei der Borussia zu entscheiden.

Wie bewerten Sie als Mediziner die Gegebenheiten vor Ort?

Da hat sich gerade in den letzten zwei Jahren viel getan: Wir verfügen hier am Borussia-Park über eine große und erstklassige Reha-Abteilung, gemeinsam mit unserem Partner Medical Park. Die Kollegen, die hier ihre Praxen führen, besitzen moderne Behandlungsräume, direkt gegenüber vom Stadion. Und in Kooperation mit Medneo können wir vor Ort auf eine ambulante MRT-Einheit zurückgreifen. Da geht es natürlich um schnelle Wege: In unter 16 Stunden von der Verletzung auf dem Platz, über Untersuchung und Diagnostik bis zur erfolgreichen operativen Versorgung bei einem renommierten Spezialisten – das ist absolutes Spitzenniveau.

Generell hat sich in Sachen Diagnostik und Therapiemethoden in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel getan – etwa bei Kreuzbandrissen.

Dank der arthroskopischen Medizin stehen uns heute sehr viele Verfahren zur Verfügung, die mit wenig Kollateralschäden einhergehen. In diesem Bereich hat sich die Medizin in den letzten rund zwanzig Jahren im Endeffekt revolutioniert. Natürlich gibt es immer noch Ausnahmen bei einem Kreuzbandriss – etwa bei schweren oder wiederholten Verletzungen. In der Regel aber gilt: Wer heute bei einem guten Operateur landet und eine erfolgreiche Reha absolviert, muss nicht mehr wie früher gegebenenfalls um seine Karriere bangen.

Welche Rolle spielt die mentale Stärke bei längeren Ausfällen? Man denke an Spieler wie Lars Stindl (Schienbeinbruch) oder Christoph Kramer (wiederholte Kopfverletzungen) ...

Auch im psychologischen Bereich sind wir als Ärzte wichtiger Gesprächspartner, um den Jungs Mut zu machen und jederzeit Perspektiven aufzeigen zu können. Letztlich ist es aber immer der Spieler, der an seinem Comeback arbeiten muss, wir können ihn nur begleiten. Die angesprochenen Spieler sind im Übrigen – neben ihrem sportlichen Talent – natürlich starke Charaktere. Das hilft ungemein.

Der Druck, Leistungsträger möglichst schnell wieder auf den Platz zu bringen, ist in der Bundesliga nicht gering. Wie geht man die behutsame Heranführung ans Team an?

Wie bei allen Bundesligisten ist die Reha-Leistung auch bei Borussia Mönchengladbach eine Team-Leistung. Das sind Trainer und Physiotherapeuten, die auf einem hohen Niveau arbeiten. Somit ist eine umfangreiche Betreuung der Spieler gegeben und es können sämtliche therapeutische Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Jeder im Team bringt zudem seine Sichtweisen und Erfahrungen mit ein – Kommunikationsfähigkeit ist da immens wichtig. Auch das Team hinter dem Team muss als Mannschaft funktionieren.

Wie nehmen Sie und das Ärzteteam die 90 Minuten auf der Bank am Spielfeldrand wahr?

Natürlich freuen wir uns über die Tore unserer Mannschaft und darüber, wenn drei Punkte eingefahren werden. Unsere Prämisse aber lautet: Ein gewonnenes Spiel ist ein Spiel, in dem sich niemand verletzt hat. Auch gilt es, den medizinischen Betreuern des gegnerischen Teams kollegial und ohne Animositäten gegenüberzutreten. Da bestehen keine Rivalitäten – vielmehr pflegen wir gute Kontakte zu den Therapeuten und Reha-Trainern anderer Vereine. Ohne Frage aber stellen diese 90 Minuten eine Situation der Anspannung dar ...

… zumal Ihnen im Borussia-Park rund 60.000 Augenpaare „über die Schulter schauen“, wenn Sie bei einer Verletzungsunterbrechung aufs Feld müssen!

Als Ärzte-Team konzentrieren wir uns natürlich weniger auf das sportliche Geschehen als darauf, wie sich die Spieler bewegen oder wie sie in die Zweikämpfe gehen. Wir beobachten zum Beispiel, ob jemand ausgewechselt werden möchte. Klar: Wenn man tatsächlich aufs Spielfeld muss, wird jede Handlung, jede Geste mitunter von den Zuschauern kommentiert – mit Pfiffen von den gegnerischen Fans etwa. Das sind Situationen, die man zuvor mit einplanen muss. Wer damit nicht umgehen kann oder will, darf sich nicht in den Profisport wagen.  

Vor dieser aktuellen Anstellung waren Sie in der Charité Berlin tätig, haben zudem Erfahrungen im Ausland gesammelt und unter anderem auch Football- und Handball-Teams betreut. Was konnten Sie aus dieser Zeit mitnehmen?

Ich denke, man bringt dadurch eine größere Bandbreite mit, da man auch mal Verletzungen gesehen hat, die im Fußball eher selten vorkommen – Knochenbrüche zum Beispiel. An der Charité habe ich eine fundierte, unfallchirurgische Ausbildung absolviert, die eben nicht nur das relativ schmale Spektrum der reinen, konservativen Sportorthopädie abdeckt. Eine anspruchsvolle und lange Ausbildung, von der ich heute ungemein profitiere. Die Tätigkeit in den anderen Sportarten hat zudem meinen Horizont enorm erweitert, denn man findet andere Bedingungen, andere Herangehensweisen vor. Es freut mich, dass ich in noch jungen Jahren so viel Erfahrung sammeln konnte.

Man darf davon ausgehen, dass Borussia Mönchengladbach in der kommenden Saison erneut in einem internationalen Wettbewerb spielen wird. Eine Mehrbelastung, auch für Sie?

Mit Blick auf die Englischen Wochen gilt es, frühzeitig zu planen, denn als Arzt fallen neben der Vereinsbetreuung ja noch weitere Tätigkeiten an. Jüngere Kollegen möchten sich zudem stets weiterentwickeln, Kongresse besuchen und Fortbildungen durchlaufen. Da spielt die Koordinierung und Abstimmung mit dem Verein eine wichtige Rolle. Auch die Kaderplanung muss frühzeitig anlaufen – das ist aber glücklicherweise nicht meine Baustelle (lacht).

borussia.de

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