Sexismus, Homo-, Bi- und Transphobie machen auch vor dem Gemeinschaftserlebnis Sport nicht Halt. Vielmehr noch: In kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich spielt das Geschlecht noch immer eine so große Rolle. Lesbische, homosexuelle, bisexuelle, transgender und intersexuelle (LGBTI) Athletinnen und Athleten berichten von Diskriminierungen, verbalen Beleidigungen oder gar physischen Übergriffen. Die Geschlechtsidentität im Sport stellt an der Deutschen Sporthochschule Köln ein Forschungsgebiet dar – neben der Fokussierung auf die Erfahrungen Betroffener werden dort auch Präventionsmaßnahmen erarbeitet.
Der sportliche Wettkampf lebt von der Jagd nach Höchstleistungen und nicht selten vom schmalen Grat zwischen Sieg und Niederlage. Denn manchmal entscheiden Sekunden oder Zentimeter darüber, ob es fürs Treppchen, für Medaillen oder Pokale reicht. Dabei wird bis heute – ob nun bei Olympia oder beim regionalen Leichtathletik-Wettkampf – trennscharf zwischen weiblichen und männlichen Sportlerinnen bzw. Sportlern unterschieden. Umso schwieriger gestaltet sich die körperliche Betätigung für all jene Menschen, die sich mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nur unzureichend oder gar nicht identifizieren können und dieses somit als falsch empfinden. Transgender Menschen leben und kleiden sich so, wie Menschen des Geschlechts, dem sie sich zugehörig fühlen. Nicht wenige unterziehen sich zudem Operationen, um ihren Körper an das entsprechende Geschlecht anzupassen. Und auch lesbische, homosexuelle, bisexuelle und intersexuelle Athletinnen und Athleten berichten von Problemen bei der von ihnen präferierten Disziplin – es kommt zu Diskriminierungen oder gar Gewalt.
Verbale Beleidigungen und physische Übergriffe
Dr. Birgit Braumüller ist am Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) in der Lehre tätig und forscht unter anderem zum Schwerpunkt „Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität im Sport“. Sie verdeutlicht: „Ich denke, dass viele LGBTIs durchaus einen Sport gefunden haben, in dem sie sich ganz frei von Ablehnung und Benachteiligung betätigen können. Viele Studien zeigen jedoch, dass immer noch ein beträchtlicher Anteil Erfahrungen mit Ausgrenzungen macht oder gar aufs Sporttreiben verzichtet.“ Im Zuge einer Studie der DSHS gaben – mit Blick auf die vergangenen zwölf Monate – EU-weit 16 Prozent der LGBTI-Befragten an, dass sie in ihrer Hauptsportart Diskriminierungen erfahren haben. In Deutschland machten 13 Prozent dahingehend ähnliche Aussagen. „Die Formen dieser Erfahrungen“, so Braumüller, „reichen dabei von verbalen Beleidigungen, etwa homonegativer Sprache, über strukturelle Diskriminierung bis hin zu einem erschreckend großen Anteil an physischen Übergriffen.“ Auch berichtet die Soziologin von großen Differenzen innerhalb der Gruppe von LGBTIs: So seien transgender Personen jene, die im Sport am häufigsten von Diskriminierung betroffen sind. Daher eigne sich das Dach „LGBTI“ nicht unbedingt, um generelle Aussagen über Diskriminierungserfahrungen im Sport zu tätigen. Vielmehr sei ein differenzierter Blick notwendig: Wurden die negativen Erfahrungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder aufgrund der Geschlechtsidentität gemacht? Was alle Betroffenen aber vereint, ist die große emotionale Belastung, nicht offen kommunizieren zu können. Ein ewiges Versteckspiel, nicht selten mit psychischen Folgen.
Wandel beginnt zuerst im Kopf eines jeden Einzelnen – doch wie kann sich dieser dort nachhaltig manifestieren? Seit ein paar Jahren positionieren sich etwa die Vereine der Fußballbundesliga medial wirksam gegen Homo- und Transphobie im Sport und auf den Rängen im Stadion. Ein Schritt in die richtige Richtung? „Das schon, doch tut sich der Männerfußball trotz aller Bemühungen immer noch enorm schwer mit dem Thema »sexuelle und geschlechtliche Vielfalt«“, so Dr. Birgit Braumüller. „Das kann einerseits daran liegen, dass der Fußball weiterhin eine Domäne von Männlichkeit ist; zum anderen herrschen aufgrund des großen Medien- und Sponsoren-Interesses gewisse Hemmungen im Umgang mit der Problematik.“ Positionierung also durchaus, doch noch längst kein Wandel. Denn gerade im Fußballstadion zeigt sich oft, dass ein homophober Sprachgebrauch nicht direkt mit einer diskriminierenden Wirkung in Verbindung gebracht wird. Vielmehr stehen die verwendeten Begriffe für eine Abwertung und bilden Synonyme für etwas Schlechtes ab. Wer bei einem misslungenen Zuspiel etwa von einem „schwulen Pass“ spricht, möchte seine eigene Überlegenheit zeigen. Aussagen à la „Ich habe gar nichts gegen Homosexuelle“ kommen da eher als Lippenbekenntnisse daher.
Zwiespalt zwischen Inklusion und Fairness?
Zurück zum aktiven Sportgeschehen: Dort häufen sich weltweit die Diskussionen, ob beispielsweise transgender Frauen für ungleiche Voraussetzungen im Wettkampf sorgen, wenn sie gegen das Geschlecht antreten, mit dem sie sich identifizieren. Sind diese Personen körperlich tatsächlich im Vorteil? Gerät der Sport hier in einen Zwiespalt zwischen Inklusion und Fairness-Gedanken? Hier gehen die Meinungen auseinander, sehen doch einige Wissenschaftler transgender Sportlerinnen tatsächlich vorne, wenn es um die Größe des Herzens, das Lungenvolumen und den Knochenbau geht. Gegenstimmen verweisen jedoch darauf, dass transgender Frauen zwar über größere Körper verfügen, diese aber mit einer geringeren aeroben Kapazität sowie einer reduzierten Muskulatur angetrieben werden müssen. Auch Dr. Birgit Braumüller tut sich mit validen Aussagen schwer: „Das hängt einerseits von der Sportart ab – welche Rolle spielt etwa Testosteron bei der Ausübung? Auch der Status der Geschlechtsangleichung ist ein Faktor. Handelt es sich um eine gefühlte Geschlechtsidentität oder wurden hormonelle Schritte eingeleitet? Die Annahme, dass transgender Frauen einen unerlaubten Vorteil im Wettkampf haben und somit gegen das zentrale Merkmal der Chancengleichheit verstoßen, ist zwar tatsächlich weit verbreitet, aber nicht eindeutig belegt.“ Hier lohne sich laut der Wissenschaftlerin allerdings ein kritischer Blick auf die physischen Vorteile bekannter Hochleistungssportler gegenüber der Konkurrenz: „Usain Bolt verfügt über extreme Hebelverhältnisse zwischen Hüfte und Oberkörper und läuft deshalb allen davon. Beim Schwimmer Michael Phelps wiederum fällt die enorme Spannweite der Arme ins Gewicht. Ich denke, in gewisser Weise ist diese Chancengleichheit im Sport daher eine Utopie.“ Fakt ist: Der Sport basiert auf einem binären Geschlechtersystem – weicht davon jemand ab, fühlen sich Außenstehende aufgrund der fehlenden Kategorisierung überfordert und es folgt schnell die genannte Kontroverse ums Fairplay. Dass auch innerhalb der jeweiligen Männer- und Frauengruppen enorme Unterschiede in Sachen Größe, Statur oder Hormone herrscht, fällt dann schnell hintenüber.
Keine Anlaufstellen bekannt
Für das Ziel, Diskriminierung und Gewalt im Sport aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität entgegenzuwirken, wurde das europaweite Verbundprojekt OUTSPORT ins Leben gerufen. Damit LGBTIs die Teilnahme am Sport auf allen Ebenen erleichtert wird, führte die DSHS im Rahmen dieses EU-Projekts eine europaweite Online-Befragung zur Thematik durch. Über 5.500 Personen aus allen 28 EU-Staaten konnten somit Angaben zu ihren Erfahrungen im Sport machen. Vielsagend: Die überwiegende Mehrheit der Befragten LGBTIs nimmt Homo- und Transphobie im Sport wahr; ein entsprechender Sprachgebrauch sei vor allem in den Mannschaftssportarten auszumachen. Auch deckte die Erhebung einen weiteren Missstand auf: Mehr als einem Drittel der Befragten ist keine Anlaufstelle bekannt, die man bei Problemen und negativen Erfahrungen kontaktieren könne. Dr. Birgit Braumüller ergänzt: „Neben diesen Anlaufstellen fehlt es auch an einer Sensibilisierung dafür, dass es diese Problematik der Ausgrenzung überhaupt gibt.“ Auf Grundlage der OUTSPORT-Ergebnisse nennt sie daher konkrete Zielsetzungen: „Eine Verankerung der Wertschätzung von Vielfalt, Antidiskriminierung und Gewaltprävention in den Satzungen von Vereinen und Verbänden ist erstrebenswert. Auch müssen diese Themen bereits in den Ausbildungsstrukturen der jeweiligen Verbände zementiert werden, denn die Trainerinnen und Trainer spielen eine zentrale Rolle. Findet dies zudem im stetigen Dialog mit LGBTI-Organisationen statt, sind erste wichtige Schritte getan.“ Ehrbare Ziele, denn letztlich geht es doch im Sport neben Wettkampf und Fitness um nichts anderes als ein starkes Gemeinschaftsgefühl.
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