Am 1. Oktober 2021 ist das Gesetz für faire Verbraucherverträge mit einer interessanten Neuerung in Kraft getreten. Dieses Gesetz soll die Position von Verbrauchern* gegenüber Unternehmen beim Vertragsschluss und bei den Vertragsinhalten verbessern. Dafür sieht es unter anderem Änderungen im Recht der Allgemeinen Vertragsbedingungen vor, das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) normiert ist.
Bisher war es Patienten nicht gestattet, ihre Erstattungsansprüche gegen ihre private Krankenversicherung an Dritte abzutreten. Ein solches Abtretungsverbot sahen die Musterbedingungen 2009 Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK) vor. Bei diesen Musterbedingungen handelt es sich zwar zunächst nur um Empfehlungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V. (PKV-Verband) für seine Mitglieder, jedoch haben diese die Empfehlungen weitgehend in ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) aufgenommen. Das Abtretungsverbot galt bisher gleichermaßen für Standard-, Basis- und Notlagentarif sowie für die Private Pflegepflichtversicherung.
In der aktuellen Fassung von § 6 Abs. 6 MB/KK heißt es:
Ansprüche auf Versicherungsleistungen können weder abgetreten noch gepfändet werden. Das Abtretungsverbot nach Satz 1 gilt nicht für ab dem 01.10.2021 abgeschlossene Verträge; gesetzliche Abtretungsverbote bleiben unberührt.
Damit weist die aktuelle Fassung der MB/KK bereits auf die neue Rechtslage hin, die seit dem 1. Oktober 2021 besteht: Nach § 308 Nr. 9a BGB ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein Abtretungsausschluss insbesondere bei einem auf Geld gerichteten Anspruch des Vertragspartners unwirksam. Der Patient hat gegenüber seiner privaten Krankenversicherung einen pekuniären Anspruch, da das Kostenerstattungsprinzip und nicht das Sachkostenprinzip gilt, sodass nach aktueller Rechtslage ein Abtretungsverbot in den AVB unwirksam ist. Das bedeutet, dass der Patient die gegenüber seiner Versicherung bestehenden Ansprüche grundsätzlich an Dritte (z. B. an seinen Arzt oder an ein Inkassounternehmen) abtreten kann. Allerdings gilt dies nicht rückwirkend und damit nicht für Versicherungsverträge, die der Patient schon vor dem 1. Oktober 2021 abgeschlossen hat.
Laut Referentenentwurf soll das Gesetz für faire Verbraucherverträge Vertragsklauseln in AGB entgegenwirken, welche „die Nutzung von Marktchancen durch die Verbraucherinnen und Verbraucher oder die Abtretung ihrer Ansprüche zwecks Geltendmachung durch Dritte unverhältnismäßig erschweren.“ Wenig überraschend hat sich der PKV-Verband in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf ablehnend gegenüber der Aufhebung des Abtretungsverbots in AVB geäußert: Die Regelung, so der PKV-Verband, werde den Besonderheiten der Kranken- und Pflegeversicherung als Personenversicherung nicht gerecht. Es liege im Interesse der Versicherten wie der Versicherungsunternehmen, im Leistungsfall das Vertragsverhältnis nicht mit einem Dritten abwickeln zu müssen. Dieses Interesse sei auf eine sachgerechte Überprüfung des Versicherungsfalles und eine möglichst einfache Leistungsabrechnung gerichtet. Die Abwicklung des Falls habe unter Einbeziehung des Versicherungsnehmers zu erfolgen, z. B. zum Zweck der medizinischen Begutachtung oder bei persönlichen Auskünften. Das Verhältnis bei der Erstattung von medizinischen Leistungen sei von einem besonderen, dauerhaften und sensiblen Vertrauensverhältnis unter den Beteiligten geprägt, welches durch ein Eingreifen eines rein am kommerziellen Inkasso ausgerichteten Dritten nachhaltig gestört würde. Zudem werde übersehen, dass sich der Versicherte durch die Abtretung an Dritte für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung allein aus prozesstaktischen Gründen eine Zeugenstellung verschaffen könne.
Aus Sicht des PKV-Verbandes kann man die Einwände zumindest zum Teil nachvollziehen, wir sehen dies allerdings anders. Zum einen ist schon zweifelhaft, ob nicht eine Rechtsstreitigkeit, die zwischen Patient und Versicherung direkt geführt wird, eher geeignet ist, zu einer weiteren Belastung der Vertrauensbeziehung zwischen Versicherung und Patient oder auch zwischen Arzt und Patient zu führen. Wenn der Patient dagegen seine Forderungen an einen Dritten abtritt, ist er prozessual aus der „Schusslinie“. Außerdem scheut der Patient womöglich einen Prozess gegen einen großen Versicherungskonzern, sodass das Prinzip der Waffengleichheit auch für eine Abtretungsmöglichkeit spricht.
Des Weiteren ist Privaten Krankenversicherungen bereits ein scharfes Schwert an die Hand gegeben: Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sieht vor, dass Rückforderungsansprüche gegen einen Arzt vom Versicherten auf die Versicherung übergehen, sofern die Versicherung geleistet hat. Damit hat es die Krankenversicherung durch Zahlung allein in der Hand, Forderungsinhaberin kraft Gesetzes gegen den Arzt zu werden. Dem Arzt war es zuvor aber nicht möglich, seine Forderung gegen die Versicherung geltend zu machen. Der Arzt war bisher immer gezwungen, sich an seinen Vertragspartner (i.d.R. an den Patienten) zu wenden, andererseits drohte ihm, dass die Versicherung ihn als Nichtvertragspartner in der oben geschilderten Konstellation in Anspruch nahm. Daher war das Dreiecksverhältnis zwischen Arzt, Patient und Versicherung rechtlich bisher etwas asymmetrisch, sodass wir die Korrektur dieser bisherigen Schieflage durch das Gesetz für faire Verbraucherverträge begrüßen. Die Abtretung birgt jedoch auch Risiken. Zum Beispiel besteht die Gefahr, dass ein Arzt, der sich Forderungen vom Patienten abtreten lässt, zwar Forderungsinhaber wird, aber ggf. nicht mehr die Möglichkeit hat, den Patienten erneut in Anspruch zu nehmen, wenn die Forderung gegenüber der Versicherung - aus welchem Grund auch immer - nicht realisiert werden kann. Vor diesem Hintergrund raten wir zu äußerster Vorsicht im Umgang mit der neuen Abtretungsmöglichkeit, von der zurückhaltend und nur nach eingehender juristischer Beratung Gebrauch gemacht werden sollte.
*Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet. Gemeint sind jedoch immer alle Geschlechter.