Der Weg verlief über unzählige kleine und große Schritte, doch das Ergebnis kann sich sehen lassen: Nach der Etablierung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) im Jahr 2018 erhielten die Filialen der Berliner MediosApotheke im Februar 2021 das Zertifikat „klimaneutral”. Die Apothekerin Claudia Reimers koordiniert vor Ort die beteiligten Umweltbeauftragten und berichtet im Interview von den vielen erfolgreichen Klimaschutzmaßnahmen an den insgesamt vier Standorten.
Seit diesem Frühjahr gelten alle Standorte der Berliner MediosApotheke als klimaneutral. Welche Maßnahmen mussten und müssen für dieses Ziel umgesetzt werden?
Claudia Reimers: Wir nehmen hierfür ein Angebot der NOVENTI-Group in Anspruch. Dieses richtet sich explizit an Apotheken und ist an gewisse Bedingungen geknüpft. So setzen wir seit 2020 etwa an unseren vier Standorten auf eine Ökostrom-Versorgung und haben bei den Druckerzeugnissen auf recyclebare Produkte umgestellt. Maßnahmen zur Einsparung von Papier- und Plastikabfällen wurden auch schon zu einem früheren Zeitpunkt etabliert. So konnte der ökologische Fußabdruck bereits reduziert werden, doch letztlich ist natürlich ein CO2-Ausgleich vonnöten, möchte man als klimaneutral gelten.
Wie sind Sie das als Umweltgruppen-Koordinatorin der MediosApotheke angegangen?
Für die Berechnung des CO2-Ausstoßes unserer Apotheken waren ganz unterschiedliche Angaben gefordert. Da ging es unter anderem um den Stromverbrauch, die Art des Heizens, Abfallmengen und den Fuhrpark – alles Werte und Daten, die für die jeweiligen Filialen erfasst werden mussten.
Zudem wurde ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) etabliert …
Dieses sowie unsere internen Regeln vermitteln den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein umweltbewusstes und nachhaltiges Verhalten. Hinzu kommt ein wöchentlicher Newsletter, mit dem wir stets aktuelle Themen kommunizieren. Unser QMS bezieht sowohl den Office- und apothekenspezifischen Bereich, als auch die Logistik mit ein. So setzen wir bei administrativen Vorgängen auf Digitalisierung, um Papier einzusparen. Beim Kauf von Büroartikeln achten wir auf das Umweltzeichen „Blauer Engel” und verwenden zudem die ökologische Suchmaschine Ecosia. In der Logistik kommen auch Fahrradkuriere zum Einsatz; für die interne Hauspost verwenden wir wiederverwendbare Umschläge und Transportboxen.
Welches Feedback erhalten Sie von den Kolleginnen und Kollegen?
Wir möchten sie fortlaufend motivieren. Aktuell nehmen wir an der Challenge „Klimaretter-Lebensretter“ teil. Hier treten Unternehmen des Gesundheitswesens gegeneinander an, um CO2 einzusparen. Dafür wurden umweltfreundliche Sticker in allen Abteilungen verteilt, um daran zu erinnern, in welchen Situationen sich ganz einfach Ressourcen einsparen lassen: „Licht aus, wenn man den Raum verlässt“, „Stoßlüften statt Dauerkipp“, „Standby-Modus am Drucker ausschalten“ oder auch „Fahrrad statt Auto“. Vielleicht geht der ein oder andere Reminder ins Unterbewusstsein über und man handelt dann auch außerhalb des Unternehmens nachhaltiger. Als Koordinatorin der Umweltgruppe organisiere ich die Treffen der Umweltbeauftragten aus jeder Abteilung, die mindestens zweimal im Jahr mit unserer Unternehmensleitung stattfinden. Gerne möchten wir zu diesen Themen auch mit anderen Gesundheitseinrichtungen im Austausch stehen.
Welche Beobachtungen machen Sie denn bzgl. Umwelt- und Klimaschutz im Gesundheitswesen?
In den letzten Jahren haben sich viele neue Aktionsnetzwerke und Initiativen gegründet, um den Umweltschutz im Gesundheitssystem voranzutreiben und gleichzeitig auf gesundheitliche Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Da wäre etwa Health for Future zu nennen, die auch den spannenden Podcast „Klimavisite“ anbieten. Oder die Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG), das KLIK-green-Krankenhausprojekt und viele mehr.
Was können die Akteure dieses Sektors darüber hinaus tun?
Ein großer Teil der CO2-Emissionen entfällt auf die Arznei-Lieferketten und -Versorgung. Alle Schritte – von der Forschung und Entwicklung über die Produktion und Auslieferung bis hin zur Entsorgung eines Arzneistoffs – sollten möglichst ressourcenschonend und auch sozial verträglich gestaltet werden. Auch die Wirkung eines Medikaments auf die Umwelt und das jeweilige Abbauverhalten müssen transparenter dargelegt sein.
Hier sprechen Sie ein wichtiges Thema an: Eine unzureichende Entsorgung von Medikamenten schadet Gewässern, Pflanzen und Tieren. Inwiefern können Sie Ihrer Kundschaft da beratend zur Seite stehen?
Hier sehen wir uns als Apotheke in der Verantwortung, die Patientinnen und Patienten bestmöglich aufzuklären. Gesetzlich sind Apotheken nicht zur Rücknahme von Medikamenten verpflichtet, in vielen Filialen kann man Alt-Arzneimittel aber dennoch zur Entsorgung abgeben. So auch bei uns. Wir haben einen Flyer entworfen – „Arzneimittel richtig entsorgen“ –, der auf den Handverkaufstischen ausliegt. Wir verweisen zudem auf die Internetseite arzneimittelentsorgung.de vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die Kundinnen und Kunden freuen sich über diese Informationen und sprechen uns auch konkret auf die Entsorgung an. Man wundert sich dann, wie viele von ihnen tatsächlich ihre Arzneimittel über die Toilette entsorgen wollten.
Wo Produkte über eine Ladentheke gehen, kommt die Transportfrage ins Spiel. Wie gehen Sie diese Problematik in den Apotheken an?
Tüten sind natürlich ein immer wiederkehrendes Thema. Wir bieten Papier- und Jute-Varianten an. Wobei Mehrwegtüten aus recyceltem Plastik auch eine nachhaltige Alternative darstellen, da man eine Jutetasche rund 130 mal verwenden muss, damit sie nachhaltiger ist als eine herkömmliche Plastiktüte. Die recycelte Mehrwegtüte hingegen nur dreimal. Auch bei Give-Aways spielen Qualität und Nachhaltigkeit eine Rolle.
Was wünschen Sie sich von der Pharmaindustrie?
Dass es zum Beispiel spezielle Mehrweg-Alternativen zu Styroporboxen oder Einweg-Thermologgern gibt; auch die Investitionen in die Forschung zu umweltfreundlichen Verpackungen sind ausbaufähig. Zudem erhalten wir noch immer sehr viele Werbeflyer, die ich persönlich unnötig finde. Die gleichen Informationen lassen sich auch auf einer entsprechenden Webseite darstellen.
Sie haben bereits den Einsatz von Fahrradkurieren erwähnt – welche Rolle nimmt der Faktor Mobilität darüber hinaus ein?
In diesem Bereich lässt sich unglaublich viel machen. Fahrradkuriere für Botentouren einsetzen oder die Fahrzeugflotte auf Elektro- oder schadstoffärmere Mobile umstellen. Es gibt Tankkarten, bei denen pro Liter der CO2-Ausgleich mitbezahlt wird. Apotheken könnten zudem die Touren vom Großhandel reduzieren, indem sie darauf achten, nur eine Sammelbestellung zu senden, statt kurz nacheinander einzelne Artikel zu ordern. Wir haben in unserem QMS auch festgelegt, dass für Dienstreisen unter 600 Kilometer kein Flug infrage kommt. Falls sich Flüge nicht vermeiden lassen, wird der Schadstoffausstoß kompensiert.
Welche Klimaschutzprojekte sind das, die sie im Zuge der NOVENTI-Group-Initiative „Zeichen setzen!” unterstützen?
NOVENTI investiert in das Windkraftprojekt des indischen Impfstoffherstellers Serum Institute of India (SIIL), sowie in den Bau eines Wasserkraftwerks in Brasilien. Durch den Antrag auf CO2-Ausgleich wissen wir nun, welche Kennzahlen wir zur Berechnung unseres Ausstoßes benötigen und können uns zukünftig selbst um den Ausgleich kümmern. Wichtig ist es dabei, genau auf die zu unterstützenden Projekte zu schauen. Es wäre kontraproduktiv, würde einem Kleinbauern etwa die Lebensgrundlage genommen, weil sein Land für ein Baumpflanzprojekt infrage kommt.
Können Sie schon weitere Pläne und Ziele der Umweltgruppe nennen?
In unserer nächsten Runde wird es unter anderem um das Thema Hitze gehen, denn dieses hat auch große Relevanz für die Gesundheit. Durch Hitze können sich chronische Erkrankungen verändern, bestimmte Beschwerden treten vermehrt auf. Bluthochdruck- und Herzinsuffizienzpatienten leiden, denn durch hohe Temperaturen werden die Gefäße weit gestellt. Es steigt das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Mitunter muss die Medikation vorübergehend reduziert werden. Wir als Apothekenmitarbeiter – sowie alle Kolleginnen und Kollegen aus den Gesundheitsberufen – können Überzeugungsarbeit leisten und haben das Gehör unserer Patienten. Im besten Falle führt dies zu einer Änderung des Lebensstils und zu mehr Umweltbewusstsein.