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Lächelnde Frau mit heller Schlafmaske und weiß-schwarz-gestreiftem Pyjama umarmt weißes Kissen vor orangefarbenem Hintergrund

Die Wunderwaffe Schlaf

Ausgeschlafen? Wer sich am Tage fit und leistungsfähig fühlt, hat den richtigen Rhythmus gefunden. Foto: © Jet Cat Studio - stock.adobe.com
Portratitfoto des Artikel-Autors Robert Targan
Von ROBERT TARGAN (Freier Texter, Autor & Redakteur)
5 Min.Lesezeit

Schlaf verlängert unser Leben, schützt vor Krankheiten, stärkt das Gehirn und wirkt leistungssteigernd. Doch weshalb genießt dieses „wichtigste Drittel unseres Lebens“ einen solch niedrigen Stellenwert in der Gesellschaft? Was ist gegen Ein- und Durchschlafstörungen zu tun? Und welche „Schlafkiller“ können wir aus unserem Alltag verbannen? In seinem Buch „Schlaf wirkt Wunder“ geht der Psychotherapeut und Somnologe Dr. Hans-Günter Weeß diesen und weiteren Fragen nach – und findet aufschlussreiche Antworten.

Bereits kleine Kinder sehen im Schlaf etwas Negatives, zögern abends das Zubettgehen hinaus oder verweigern den Mittagsschlaf. Der Schlaf wird als eine Art „Unterbrechung“ angesehen.

Dr. Hans-Günter Weeß: Wir leben tatsächlich in einer Gesellschaft, die eine neue Schlafkultur benötigt. Denn der Schlaf ist etwas verpönt: Wer viel schläft, gilt eher als „faul“ und „weniger tüchtig“. Kurzschläfer hingegen werden als „dynamisch“ und „fleißig“ angesehen. Der Regisseur Rainer Werner Fassbinder hat mal gesagt: „Schlafen kann ich noch, wenn ich tot bin“ – er wurde nicht mal 40 Jahre alt. Das macht deutlich, dass der Schlaf das wichtigste Reparatur- und Regenerationsprogramm ist, das der Mensch hat.

Das heißt, der Schlaf wird unterschätzt?

Das sieht man schon daran, dass jemand, der lange schläft, als „Schlafmütze“ oder „Schnarchnase“ bezeichnet wird. Da kennen wir gleich mehrere Schimpfwörter. Eine lobende Bezeichnung für jemanden, der so schläft, wie es seine Gene vorgeben, ist jedoch nicht bekannt. Wenn wir nicht ausreichend schlafen, drohen mannigfaltige
Gesundheitsrisiken: Herzkreislauf- und Stoffwechselerkrankungen, Diabetes oder auch Übergewicht. Auch psychische Störungen können bei chronischem Schlafmangel eine Folge sein; ebenso neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz und Parkinson.

Welche Probleme kann zu wenig Schlaf im Alltag mit sich bringen?

Schlafmangel führt dazu, dass wir im Wachzustand unsere Aufgaben nicht mehr richtig erfüllen können. Wir sind übermüdet, es kommt zu Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen. Arbeitsfähigkeit, Produktivität und Kreativität leiden. Ein plakatives Beispiel: Auf deutschen Straßen sterben doppelt so viele Menschen infolge eines Sekundenschlafs, als infolge von Alkohol am Steuer. Sekundenschlaf-Unfälle sind meist schwere, ungebremste Auffahrunfälle. Und doch wird diese Gefahr in unserer Gesellschaft weithin unterschätzt.

Hinsichtlich Müdigkeit am Steuer gibt es allerlei Ratschläge zur Abhilfe: Radio laut drehen, Kaugummi kauen ...

Das einzige Mittel gegen Müdigkeit ist Schlaf. Wem am Steuer die Augen zufallen, ist zu raten, dass er, wenn möglich, rechts ranfährt und ein kurzes Nickerchen hält. Alternativ kann körperliche Ertüchtigung vorübergehend hilfreich sein – allerdings nicht zu vergleichen mit einem „Powernap“. Hier sei generell der Wert eines Mittagsschlafs zu erwähnen: Schon nach einer kurzen Phase von zehn bis 20 Minuten sind wir erfrischter, leistungsfähiger und auch das Reaktionsvermögen steigt. Unternehmen würden gut daran tun, ihren Mitarbeiten die Möglichkeit für einen kurzen Mittagsschlaf zu geben.

Negative Gedanken und Grübeleien können den Schlaf rauben – Müdigkeit am Folgetag sorgt mitunter für Gereiztheit. Ein Teufelskreis?

Grundsätzlich ist zu sagen, dass Schlafstörungen eine Volkskrankheit sind, denn rund sechs Prozent der Bundesdeutschen leiden darunter. Diese Störungen können verhaltensbedingt sein, können organische Ursachen haben oder auch Nebenwirkungen von Medikamenten sein. Sehr häufig sind es aber tatsächlich innere Fehlhaltungen. Vielen Menschen ist es abends nicht möglich, die kleinen und großen Sorgen des Alltags vor der Schlafzimmertür zu lassen und das Gedankenkarussell zu stoppen. Wenn wir aber grübeln, sind wir angespannt – und Anspannung ist der Feind des Schlafes. Hinzu kommt tatsächlich dieser Teufelskreis: Habe ich die Erfahrung gemacht, dass die letzten Nächte schlecht verliefen, fokussiere ich mich auf mein Schlafproblem, „strenge mich an“, einzuschlafen. Da muss man dann leider feststellen: „Schlafen wollen“ ist die beste Methode, um sich wach zu halten. Viel hilfreicher ist es, sich an die schönen Dinge des Lebens zu erinnern, die im besten Falle mit Gefühlen wie Sicherheit und Geborgenheit verbunden sind.

Welche Rolle spielen die Neuen Medien für unsere Übermüdung?

Wir haben das Smartphone am Bett bereitliegen, um bloß nichts zu verpassen und neue Nachrichten umgehend lesen zu können. Das hält uns in einem Stand-by-Modus, in dem es uns schwer fällt, abzuschalten und zu entspannen. Viele Menschen nutzen diese Neuen Medien abends bis an die Bettzeit heran, arbeiten noch und checken ihre E-Mails. All diese Vorgänge spannen an und verhindern Müdigkeit. Die LED-Bildschirme von Smartphones und Tablets besitzen zudem einen Blaulichtanteil, der unserem Gehirn vorgaukelt, dass draußen noch die Sonne scheinen würde. So kann der Körper kein schlafförderndes Melatonin bilden.

Eine Frage müssen Sie sicherlich immer wieder beantworten: Wie viele Stunden Schlaf pro Nacht sollen es denn sein?

Da gibt es nicht die eine Empfehlung. Es hält sich die Meinung, dass es mindestens sieben bis acht Stunden pro Nacht sein sollen. Das ist jedoch nicht korrekt, denn jeder Mensch hat ein genetisch-unterschiedliches Schlafbedürfnis. Der eine benötigt vier, der andere zehn Stunden Schlaf. Mit Blick auf Deutschland kann man sagen, dass rund 80 Prozent sechs bis acht Stunden Schlaf benötigen. Bei uns im Schlaflabor ist es aber so: Wenn sich jemand am Tage fit, ausgeschlafen und leistungsfähig fühlt und darüber hinaus keine
körperlichen Symptome aufweist, dann war es genügend Schlaf.

Inwiefern beeinflussen ein Schulbeginn um acht Uhr, Schichtarbeit und Überstunden unseren Schlafrhythmus?

Auch hier spielen die genetisch-bedingt unterschiedlichen Schlafzeiten eine Rolle. Viele Menschen gehen allerdings eher spät ins Bett und haben morgens Schwierigkeiten mit dem frühen Aufstehen. Also zu den anerkannten Zeiten, die Arbeit und Schule vorgeben. Unsere Gesellschaft tickt nicht richtig, wenn es darum geht, die Schlaf-Wach-Uhr des Menschen zu berücksichtigen. Das führt oftmals zum chronischen Schlafmangel und zu den bereits genannten gesundheitlichen und gesellschaftlichen Risiken. Es lohnt sich ein Blick auf Länder, in denen beispielsweise der Unterricht später startet: Studien zeigen, dass dort bessere Noten vergeben werden. Dass die Schüler ausgeglichener sind.

Viele Betroffene wünschen sich eine schnelle Hilfe und greifen auf Schlafmittel zurück. Was raten Sie da im Umgang?

Ich rate immer dazu, Schlafmittel nur zu einer kürzestmöglichen Zeit einzunehmen. Bereits nach zwei bis vier Wochen steigt das Risiko für eine Gewöhnung und Abhängigkeit. Schlaftabletten sind Tranquilizer, also Beruhigungsmittel. Da gibt es die chemische Keule auf den Kopf, die das Grübeln stoppt. Wenn man aber lernt, wieder selbst in solch eine Entspannung zu kommen und diese Wirkung zu erzielen, handelt es sich um eine kausale Therapie. Menschen aus ganz Deutschland suchen unsere Schlaftherapiegruppen auf, um wieder solch eine schlafförderliche Entspannung zu erlernen. Denn wie bereits erwähnt: Der Schlaf lässt sich nicht erzwingen.

Neben der chemischen Keule existiert auch ein großer Markt für rezeptfreie Mittel …

… Tinkturen und Säfte etwa, die vermeintlich helfen sollen. Hinzu kommen die pflanzlichen Mittel aus der Apotheke. Es ist aber festzuhalten, dass keine Studie existiert, die dahingehend eine Wirksamkeit belegt – allenfalls dafür, dass hochdosiertes Baldrian bei leichtesten Schlafstörungen helfen kann. Es ist jedoch fraglich, ob eine Einnahme bei eben leichten Schlafstörungen wirklich vonnöten ist.

Wie fällt die Resonanz der Leser Ihres Buches „Schlaf wirkt Wunder“ aus?

In vielen Zuschriften berichten mir Menschen, dass sie nach jahrelangen Problemen jetzt wieder einen Weg gefunden haben, besser zu schlafen. Es freut mich sehr, dass ihnen meine Empfehlungen geholfen haben. Es bleibt aber auch festzuhalten: Schwerste Schlafstörungen sind meist nicht mit einem Buch zu lösen – da braucht es eine Behandlung. Hier bei uns im Pfalzklinikum wenden wir ein gestuftes Behandlungsmodell an, das sich von der Selbsthilfe durch Lektüre und Online-Programme, über ambulante schlaftherapeutische Gruppen bis hin zu stationären Aufenthalten erstreckt. Für Menschen, die glücklicherweise nur geringe Schlafprobleme plagen, kann das Buch aber auch eine präventive Wirkung besitzen.

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