Akute Verbrennungen, Schnittverletzungen und Arbeitsunfälle: In der Abteilung für Plastische, Hand- und Rekonstruktive Mikrochirurgie an der BG Unfallklinik Frankfurt am Main genießt das Erreichen eines optimalen, funktionellen und guten kosmetischen Ergebnisses absolute Priorität. Chefarzt Prof. Dr. med. Christoph Hirche weiß: „Heutzutage haben wir andere Ansprüche an eine Wiederherstellung als noch vor 20 oder 30 Jahren.“ Im Interview umschreibt er die Komplexität der Hand und hebt die Vorzüge der Mikrochirurgie hervor.
In der Abteilung für Plastische, Hand- und Rekonstruktive Mikrochirurgie werden unter anderem akute Verbrennungsverletzungen behandelt: In welchen Situationen tragen sich diese zu?
Prof. Dr. med. Christoph Hirche: In den Sommermonaten sehen wir eher die Brandverletzungen, die sich in der freien Natur ereignen, zum Beispiel am Grill, hervorgerufen durch Brandbeschleuniger. Zum Ende des Jahres ereignen sich Verletzungen klassischerweise rund um Silvester aufgrund des Abbrennens von Knallkörpern – da sprechen wir von einer Mischung aus starker Krafteinwirkung und Explosionsverbrennungen. Während der Corona-Pandemie sind diese zwar aufgrund der Böllerverbote zurückgegangen; allerdings waren auch in dieser Phase Peaks zu beobachten, da nicht zertifiziertes Feuerwerk gezündet wurde. Die Nacht von Silvester auf Neujahr gestaltet sich in den Rettungsstellen durchaus arbeitsintensiv.
Neben der intensiven Wundpflege spielt auch die Behandlung von Verbrennungsnarben eine wichtige Rolle: Was ist hierbei zu beachten?
In der plastischen Chirurgie sind fünf Kriterien zu nennen, nach denen wir Zustände wie beispielsweise Verbrennungsnarben beurteilen: Da geht es um Form, Funktion, körperliche Integrität, Lebensqualität und am Ende natürlich auch um die Ästhetik. Heutzutage haben wir andere Ansprüche an eine Wiederherstellung als noch vor 20 oder 30 Jahren. War man damals als Patient glücklich, dass nach einem Unfall die Hand erhalten werden konnte, muss sie heute auch wieder funktional einsetzbar sein. Das trifft auch auf die Verbrennungsnarben zu: Wir unterscheiden da etwa zwischen großflächigen Narbenplatten, dem Verlust des Unterhautgewebes sowie auch Narbensträngen. Diese entstehen vor allem während des Wachstums bei Kindern, bilden sich aber auch bei Erwachsenen über das Handgelenk und können so die Funktion limitieren.
Welche Verfahren kommen hier zum Einsatz?
Da unterscheiden wir Verbrennungen verschiedener Tiefe. Ein Beispiel für eine erstgradige Verbrennung ist der Sonnenbrand, der in der Regel von selbst heilt. Behandlungsbedürftig sind 2a-, 2b- und drittgradige Verbrennungen. Bei ersteren steht eine Blasenbildung im Vordergrund, die in der Regel nach zehn bis 14 Tagen nahezu folgenlos abheilt. Dies ist bei 2b- und drittgradigen Verbrennungen jedoch nicht der Fall – hier ist eine chirurgische Therapie notwendig, also durch Hauttransplantationen. Ist der Körper großflächig verbrannt, kommt dabei auch Kunsthaut oder gezüchtete Haut zum Einsatz. Bei ganz schlechtem Wundgrund oder freiliegendem Knochen verschließen wir diese Hautgewebedefekte mittels freier Gewebetransplantation.
Kommen wir zur Hand: Diese stellt mit ihren 27 Knochen, 36 Gelenken, 39 Muskeln und 17 Sehnen ein äußerst komplexes Organ dar. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für den Chirurgen?
Diese Vielschichtigkeit ist isoliert betrachtet in der Tat mit keinem anderen Organ zu vergleichen. Die Funktion der Hand basiert auf zahlreichen Gewebeschichten, -typen und -arten auf engstem Raume. Genauso komplex gestaltet sich demnach die Chirurgie an der Hand, denn Verletzungen können von außen nach innen sämtliche Strukturen betreffen: Haut-Weichteile, Knochen, Nerven, Gefäße und Sehnen – nicht alles lässt sich dabei mit der gleichen Gewichtung versorgen. Die Kür ist dann die Replantation, also das Wiederannähen von abgetrennten Gliedmaßen, wo sämtliche Schichten betroffen sind. In letzter Instanz ist die Organtransplantation für verletzte, verlorene Hände zu nennen: Hier wird eine komplexe Hand verpflanzt.
Aufgrund dieser Vielschichtigkeit schließt die Handchirurgie auch andere Fachdisziplinen mit ein: Wie gestaltet sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit?
Die Handchirurgie ist in Deutschland nicht als eigener Facharzt etabliert, anders als etwa in der Schweiz. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Zusatzbezeichnung, die weitestgehend Plastische Chirurgen und Unfallchirurgen erwerben. Letztlich bilden Handchirurgen vom Qualifizierungsstand her alles ab, was das Organ betrifft, so wie es der Katalog der Zusatzbezeichnung vorsieht. So behandeln sie die Knochen an der Hand, was die Frakturversorgung und die gesamte Arthrose-Chirurgie bis zum Handgelenk beinhaltet, aber auch Nerven, Gefäße, Sehnen und den Hautmantel. Natürlich tauschen sie sich auch mit anderen chirurgischen Disziplinen und der technischen Orthopädie in gemeinsamen Extremitätenboards über Fälle aus übergreifenden Bereichen aus.
In der BG Unfallklinik Frankfurt am Main kommen modernste Verfahren der Mikrochirurgie zum Einsatz: Was können Sie zu den entsprechenden Instrumenten und zum Nahtmaterial sagen?
Bei diesem Verfahren arbeiten wir mit Vergrößerungshilfen – in der Plastischen Chirurgie und in der Handchirurgie typischerweise mit Lupenbrillen, die eine zweieinhalb- bis viereinhalbfache Vergrößerung erzeugen. Wenn es noch feiner wird, operieren wir zudem mit hochmodernen OP-Mikroskopen, teilweise auch mit 3D-Brillen. Hinzu kommt auf einer nächsten Stufe die Technik der Supermikrochirurgie, die sich bei Strukturen anbietet, die einen Durchmesser von weniger als 0,8 Millimetern besitzen. Da sprechen wir von besonderes feinen Instrumenten und besonders feinen Fäden. Wird die Haut an der Hand für gewöhnlich mit einem 4-0-Faden oder ein normales Blutgefäß mit einem 8-0-Faden genäht, ist es bei kleinen Lymphgefäßen und kleinsten Arterien ein 12-0-Faden, was etwa einer Stärke von 0,001 bis 0,009 Millimetern entspricht. Solche Operationen dauern durchaus vier bis acht Stunden, manchmal auch länger, bringen aber mit Blick auf die Kriterien Form, Funktion, Lebensqualität, Ästhetik und Belastbarkeit auch mit Bezug zur Entnahmeregion bestmögliche Ergebnisse hervor.
Die Mikrochirurgie hat ihren Ursprung in den 1920er-Jahren – wie hat sich die Operationstechnik gewandelt? Welche Erfolge waren über die Jahrzehnte zu verzeichnen?
Die Technik hat sich durch stetig verbesserte OP-Mikroskope, entsprechende Vergrößerungshilfen und immer feineres Nahtmaterial zunehmend entwickelt. In den 1960er-Jahren wurde der erste Daumen in Japan replantiert und – fotografisch belegt – prompt wieder zum Rauchen verwendet. Also „voll einsatzfähig” (lacht). Zehn Jahre später kam es zu ersten Gewebetransplantationen – erst mit großen Gefäßen, später auch muskelschonend mit kleineren. Es folgten die Lymph- und Nervenchirurgie, bis schließlich Hand- und Gesichts-Transplantationen durchgeführt werden konnten. Dank Fluoreszenzbildgebung ist es uns heute möglich, entsprechende Designs von Lappenplastiken herzustellen, um zu wissen, wie die Lappen und Gewebe reagieren. Da hat die Forschung in den letzten Jahren sehr viel Hilfreiches auf den Weg gebracht.
Das mikrochirurgische Arbeiten erfordert ein kontinuierliches Training: Wie darf man sich die regelmäßige Schulung der präzisen technischen Arbeit vorstellen?
Da gilt es ganz unterschiedliche Fertigkeiten zu erwerben, sogenannte Skills and Competencies. Neben der eigentlichen Fingerfertigkeit im Umgang mit den Instrumenten steht besonders das binokulare Arbeiten im Fokus: Während der behandelnde Arzt auf einer Ebene durch die Vergrößerungshilfe blickt, muss er auf einer anderen Ebene operieren. Das ist ein elementarer Punkt, denn manch einer fühlt sich regelrecht „seekrank”, arbeitet er erstmals auf diese Weise. Das ist zwar reine Gewöhnungssache, zeigt aber, wie wichtig es ist, dies frühestmöglich am Mikroskop zu trainieren. Es handelt sich um eine bedeutsame Spezialdisziplin in der Plastischen Chirurgie, die übrigens auch eine hohe Frustrationstoleranz erfordert: Suboptimale Ergebnisse sieht man immer und lassen sich nicht verstecken; wenn etwa das freie Gewebetransplantat nachts um zwei Uhr nicht durchblutet ist, besteht umgehend Handlungsbedarf.
Wie gestalten sich die Rehabilitationsmaßnahmen nach Verletzungen oder Erkrankungen der Hand in der BG Unfallklinik Frankfurt?
Gerade bei Arbeitsunfällen bieten wir die bestmögliche therapeutische Behandlung an – dem sind wir gemäß dem SGBVII auch verpflichtet. Dazu zählen die Unfall- und Akutmedizin, Sekundärrekonstruktionen sowie die Rehamedizin. Wir arbeiten da eng und „Hand in Hand” mit einem hochqualifizierten Therapeutenteam zusammen, sodass die Therapie nach Verletzungen bereits frühzeitig auf der Station beginnen kann. Das gilt natürlich auch für plastisch-chirurgische Krankheitsbilder, wo es unter anderem um die Kompressionsversorgung und eine Unterstützung durch Lymphdrainage geht. Das unterstreicht die wichtige Rolle der Rehabilitation – nicht umsonst heißt es, dass 50 Prozent der Arbeit in den Bereich der Chirurgie fallen, während sich die anderen 50 Prozent aus Patientenfaktoren und der Nachbehandlung zusammensetzen.